|
|
|
|
|
|
|
|
anders segeln |
de en |
|
|
Gedankenvermittlung & Spielschule |
|
||||
|
|
outer space übersicht zeiten boote orte segeln lernen kontakt |
|
diese
seite |
|
|
|
|
insel / freiheit v.1.4 kapitel 4 kapitel 6 – 7 kapitel 8.1 – 8.3 kapitel 8.4 – 8.6 kapitel 9 kapitel 10.1 / 11.1 kapitel 11.2 / 10.2 kapitel 12 kapitel 13 – 14 |
||
Zur Insel, zur Freiheit Ein Versuch über die seltsamer werdende Welt der Gegenwart |
|
Blick auf den nordöstlichen Teil der Ostmole des Stadthafens und der Stadt Sassnitz, mit den Höhen der Stubnitz mit Stratocumulus-Wolken darüber im Hintergrund, am 21.10.2021 nachmittags, als Digitalphotographie. Die niedrig erscheinenden weißen Gebäude ganz rechts gehören zur sogenannten Altstadt Sassnitz, dem ehemaligen Fischerdorf am Steinbach. Die auf der überwachsenen Steilküste links gelegenen Gebäude stehen am Rande der Fläche, auf der das Bauerndorf Crampas lag. Darüber aufragend, in etwas dunklerem weiß, zwei bereits weitgehend zugewachsene ehemalige Kreidetagebaue. Am linken Bildrand angeschnitten das Rügen-Hotel. Die markanten weißen Gebäude am Hafen sind das alte Kühlhaus, die Fischhalle und die ehemaligen Sozialräume, welche Anfang der 1950er im Zuge des planmäßigen Ausbaus zum industriellen Fischereihafen gebaut wurden. Die Dalbenreihen und Schwimmstege zur Linken gehören zum sogenannten Wasserwanderrastplatz, der 2012 erneuerten kommunalen Marina. Hinter dem bewaldeten Ende des Landes am rechten Bildrand kommen die offenen Abbruchkanten der bekannten Kreideküste im Gebiet des 1990 geschaffenen Nationalparks Jasmund, einem ehemaligen Buchen-Forst, Hutewald und Kreide-Tagebaugebiet. Die UNESCO — Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur — führt es seit 2011 als Teil der grenzüberschreitenden Naturstätte, die seit 2017 „Alte Buchenwälder und Buchenurwälder der Karpaten und anderer Regionen Europas“ heißt, auf ihrer Welterbeliste, dem sogenannten Weltnaturerbe. |
|
||
|
|
4
Traditionelles
maritimes mimetisches Theater „Wenn die Welt untergeht sollte man nach Mecklenburg gehen, da passiert alles hundert Jahre später“ respektive nach Rügen, soll Bismarck gesagt haben. Aber auch das ist offensichtlich schon so oft kopiert, auf die jeweiligen Umstände übertragen und weiter erzählt worden, dass es eigentlich ein Meme ist. Im Frühjahr habe ich es auf Pommern gemünzt gehört, von einem Vorpommern. Hinterpommern gibt es nur noch in der Erinnerung. Da wo Hinterpommern war ist jetzt Westpommern, auf Deutsch. Das bloße Pommern kommt dahinter, weiter östlich. Die Erzählung läuft weiter, obwohl sich ihr Inhalt verschiebt, bis es absurd wird. |
|
|
|
|
|
Das. In voller Breite und institutionalisiert, mit rapide nachgebender Bindung an irgendwelche historischen Zusammenhänge und daran angeknüpfte Traditionen. Anklänge an die Vergangenheit, luftig skizzierte Zukunft, ganz viel Gegenwart. Der fixierte Blick auf den Moment, ewige Dringlichkeit, wechselnde Gegenstände der Betrachtung. Gegebene Rahmen, ineinander übergehend, überaus biegsam anpassbar, vehement verteidigt als „immer so gewesen und auch gar nicht anders denkbar“. |
|
Das erste das im nebenstehenden Absatz steht als modische Kurzform eines Kommentares — in englischer Form: “This.” — für so etwas wie: „Das ist es“ oder: „Darum geht’s“. |
|
Spiegel am Abgrund (Februar 2022) |
|
Schluss mit dem Hinnehmen von Abweichungen. Bedenken gehen noch, aber keine Roten Linien mehr, im Innen. Von außen undurchdringlich und mit zunehmender Aggressivität, siegesgewiss und immer besorgt, drohend, selbstverständlich, sich gegenseitig bestätigend, sediert in der täglichen Darstellung der zur Gewohnheit gewordenen Haltung des Endkampfes. Jeder kann etwas beitragen, zur Vielfalt im Gleichschritt. Handeln, handeln, geradeaus, bereit … Immer bereit, alles aufzugeben, für das eine: den richtigen Weg. Den einzigen. Unverständlich alles andere. Einigkeit muss reichen, für den Rest: keine Zeit. Recht ist gewahrt, geht dich auch nichts an, was willst du denn, dich zum Opfer stilisieren? Das verharmlost die wirklichen Opfer, also sei still. Dein Opfer ist keines, nichts als Angst und Selbstsucht. Dumme Gedanken, längst bekannt, als solche entlarvt und einfach falsch, falsch, falsch. Grundlos. Und Freiheit? Freiheit kommt durch Fügsamkeit. Nur zwei Wochen noch, drei Wochen, zweieinhalb Jahre, vier Jahrzehnte … Das neue Normal, der große Aufbruch, die Transformation. Zuschauen reicht nicht, jeder hat eine Rolle zu spielen. Warum? Weil es nicht anders geht. Was? Dumme Frage. Beweise, dass du dabei bist, auf der richtigen Seite, die richtige Entscheidung getroffen, dir nichts vorzuwerfen hast, wenn es dich erwischt! Ignorance is strength. Nicht mehr wissen wollen, was man schon auf Grund seiner Position gar nicht beurteilen kann und was, selbst wenn doch, auch nicht weiterhelfen würde, der als Schicksalsgemeinschaft erlebten Gesellschaft auf dem Weg zur Gesundung, das ist Stärke, war es gewiss immer und wird es immer, muss es sein, da irgendwo, im Nebel des bedingungslosen Gemeinsinns. Sei wo du willst, nur nicht draußen. Denn draußen sind die Anderen. Die, die es allem Rat und allen Erklärungen entgegen; wider besseren Wissens letzlich selbst gewählt, verdient und in seiner umfassenden Konsequenz, dem Durchgriff auf alle Bereiche des Lebens, des Denkens und Fühlens überhaupt erst notwendig gemacht haben. Ohne die wären wir weiter. Gestern am Abgrund … Tragisch, leicht vermeidbar, unerlässlich. Zwingend erforderlich, für begrenzte Zeit, wenn nicht anders „… das durchgestanden zu haben … dabei anständig geblieben … ein nie geschriebenes und nie zu schreibendes ...“ Das, wo ganz viele und im zunehmenden zeitlichen Abstand immer mehr und immer entschiedener nie wieder hin wollten, da steht es vor uns und hat sich schon ausgebreitet und wieder ist es die Mehrheit die mitmacht, gehorsam das Denken und Maßnehmen, die Entscheidung über Maßnahmen anderen überlässt und gleichgültig, teils mit Bedauern, zum nicht allzu kleinen Teil aber in abnehmend verhohlener Verachtung und mit triumphierender Niedertracht auf die herabblickt, die sich weigern ihr Wesen in der sich formierenden Masse aufgehen zu lassen. Mitgefühl? Wird zeitweise zurückzustellen nahegelegt, bis zur erfolgten Dekonstruktion. Wie bitte? „Wirst du gar nicht gewahr“ wie mein Großvater, der es knapp überlebt hatte, manchmal sagte. Aber ich greife vor. Wie zum Teufel sind wir hier hingekommen? Was geht hier vor? Wer macht so etwas? Oder kommt das von alleine? |
Kapitelübersicht 1.
Ortsbestimmung
2.
Gegenwart
im Doppelspaltexperiment
3.
Kopien
historischer Sanddornfische
4.
Traditionelles maritimes mimetisches Theater mit zunehmend
besorgten Säugetieren 5.
Von
der Freiheit eines Kutter-Russen
6.
Neue Wirklichkeit günstig abzugeben, teilw. dekonstr. 7. Aufheben der Dialektik mit Hilfe der Kultur
1.
Was ist Dialektik und was kann
man damit anstellen?
2.
Update bzgl. Volks- und
Oberschichtsglauben
3.
Das Kommen der aus dem Schlaf Gerissenen
4.
Neues Subjekt, neues Glück 8. Endkampf auf der Probebühne
1.
Akt : Dieses Pferd im Vorhof da —
2.
Akt: Eine Frage der Freiheit
3.
Akt: Trotz alledem!
4.
Akt: Die Würde des Seienden und der Ausnahmezustand
5.
Akt: Heuristik nachstellen, Nebelfelder beachten
Probebühnen-Schlussszenen-Weltverschwörungswrackheberglaubens-Dauerschleifen-Glücks-Verbrecherversprechen
9.
Angriff der Pausenclowns: 10. Genderbread-Man vs. Titty‑Beast
Pt.
1: Kampf im Unterholz Zwischenkapitel 11: Sexy Halyard Chants und Mischwesen (1) (8 6,3k) (2) (11 11,2k) 10. Genderbread-Man vs. Titty‑Beast
Pt.
2.: Grounding Queer 12.
Exkursus:
Vom Tanz am Abgrund der Unterlegenheit 13.
Das Betriebssystem des
Enteignungsglaubens 14.
Mit Vollzeug in die pitschnassen
Kornblumen Verzeichnisse, Formtitel, Kontakt PDF (7 Abs. 8,7k 25 S.) ⤈zum
anfang
des
mittleren
drittels |
||
Simulacra und Simulation |
|
Was haben wir denn so, an institutionalisierter Postmoderne, mal locker überlegt, nebenbei den Bürgersteig mit Meerblick auf dem Weg die Hafenstraße hinauf? Da wären: Ein Ministerium für die geordnet-außerordentliche Bevorzugung von Clownswesen; ein anderes für die Bewahrung und, wenn irgend möglich (was aber als praktisch schon ausgeschlossen gilt — oder doch nicht?) Verbesserung guten schlechten Wetters; eine Behörde für die lehrreiche Gestaltung ungestörter Unergründlichkeiten, dem Grundgedanken folgend, nicht mehr davon zu entnehmen als in gleicher Zeit von selber neu gebildet werden. Und alles siebzehnfach, mindestens. Ferner: eine staatlich finanzierte Bürgerkampagne gegen ein ungeliebtes menschliches Grundgefühl; ein öffentliches Unternehmen an prominentem Orte, das für’s Anschnoddern seiner mit gesellschaftlicher Verantwortung umworbenen Kunden Preise gewinnt und in seinen verdreckten, nur noch von Kameras überwachten Gebäuden eine beispielhaft grinsend bedienbare „Waffe gegen Gewalt“ in Form eines Notrufknopfes bewirbt. (Was unterscheidet die letztere von einer Waffe für Gewalt? Was wäre eine Waffe ohne Gewalt? Was kann man mit einem Notrufknopf als Waffe an- und ausrichten? Wie nennt man jemanden, der eine Waffe mit breitem Grinsen einsetzt? Muss man das alles so breit treten? Es waren doch nur ein paar mehrere Quadratmeter große Plakate, eine Kampagne, eine Hauptstadt. Hat das überhaupt wer ernstgenommen?) Des Weiteren: ein ganz ähnliches, ebenfalls öffentliches Unternehmen, das 1. im ganz großen Stil ausgebaut werden soll, um potentiellen Kunden die Alternative zur bequemeren und im Betrachtungsrahmen sichereren und obendrein als Rückrat der nationalen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit angesehenen Lösung schmackhaft zu machen; 2. solches selbstverständlich umweltfreundlich und Ressourcen- vor allem die knappen, von Verdichtung betroffenen, durch jahrzehntelangen Verkauf in kleinen Stücken knapper und dichter gewordenen Flächen schonend; 3. dabei nicht zum Anhäufen neuer Schulden beitragen; 4. regelmäßig Profite zugunsten der Allgemeinheit abwerfen; 5. eigentlich mitsamt seiner bundesweit, seit gut 15 Jahren aber auch auf dem Weltmarkt tätigen Konzernmutter schon längst verkauft werden und 6. endlich mal klarkommen soll, am besten durch Zerschlagung in europaweit ausgeschriebene Einzelunternehmensleistungen im eng getakteten, zentral regulierten Verbundnetz auf ziemlich einzigartiger, aber nun mal schwer zu ändernder Spezialtechnik, dessen wichtigste, längst automatisierte Durchsage seit 13 Jahren lautet: „Für Störungen im Betriebsablauf …“ Ach so: Zur Förderung des Gemeinwohls wurden zeitweise bei beiden der angesprochenen Unternehmen von der Blutzusammensetzung abhängige, auf pauschale, vom Zeitpunkt der freiwilligen Teilnahme an einem medizinischen Großversuch abgestellte Bescheinigungen gestützte Zugangskontrollen eingeführt, während der Verzicht auf die immer dichter regulierte und teurer werdende Alternative, die große Vorteile in Hinsicht auf die Begrenzung des mit dem Großversuch zu bekämpfenden Problems hat, zunehmend aggressiver beworben wird. Friendly fire, extended range, für Könner und Genießer der zentral gesteuerten, föderalen Gesellschaftslenkung. Fördern, Fordern, Anstoßen, Strafen wenn nicht. Es nennt sich freie Bürgergesellschaft, glaube ich zumindest, noch, ein bisschen. |
|
||
|
|
Aber nicht verzweifeln. Es ist schon besser geworden. Jedesmal wenn einer nachgefragt hat, hat es da wohl tatsächlich, also dem äußeren Anschein nach, einmal in der Vergangenheit etwas gegeben … was aber bereits viel besser geworden ist. „Und wir alle müssen noch mehr darauf achten, dass …“ egal. Probleme? Probleme kommen von früher. Und von außen. Immer überraschend, stets unvorhersehbar, so gekommen wie von selbst. Oder von dem Innen, was nicht gut ist, als Innen. Das was da so unkt. Heute und in Zukunft jedoch … viel besser. Viel viel besser, schon längst. So gut, wie wir es uns alle heute noch gar nicht vorstellen können. Man muss sich nur trauen die Dinge neu zu denken, da wo sie ihren Ursprung haben, die Unvollkommenheiten. Und man greift bereits regulierend ein, manchmal auch zur Deregulierung, unter dem Schutz vor Risiken, die jetzt wirklich problematisch wären und daher weitgehend vermieden werden müssen, ganz einfach, für das wirklich Wichtige. Was ist ‚das wirklich Wichtige‘? Das wechselt, nach Bedarf. Wenn du danach fragst ist es bei dir wohl schonmal nicht. Es ist zum Pudding-An-Die-Wand-Nageln, ehrlich. Vielleicht gibt es auch schon ein Gute-Gesetze-Gesetz? So etwas im Geiste der vorsorgenden Ausgleichsförderung vielfältig gestalteter Zukunftschancen einschließlich verbesserter Teilhabemöglichkeiten an Praxen nachhaltiger und im Rahmen des innereuropäisch-übergreifenden Gemeinschaftsvorhabens „Resiliente Gemeinwesen in transformativen Wachstumsregionen“ erfolgreich implementierter Good Governance unter Berücksichtigung der Gleichstellung familiär-geschlechtlich unterprivilegierter Minderheiten durch eigenverantwortliche Einbindung zivilgesellschaftlich-interdisziplinärer Fachgruppen transparent begleiteter Bürgerrats-Interessen-Obleute? |
|
Übrigens, ‚Rat‘ im Sinne von Bürger-Rat heißt auf Englisch sinngemäß citizen assembly (wörtlich: ‚Bürger-Versammlung‘) und auf Russisch kurz: сове́т — ‚Sowjet‘. |
|
|
|
Wenn, bei Lichte besehen, alles mehr einer ins reichlich seltsame entglittenen Simulation gleicht, als einem ernstgemeinten Versuch lebensweltlich relevante Probleme zu lösen oder einfach das Leben selbst und die zum freundlichen veränderten, erreichbaren Teile der Welt zu genießen, nach all der ewig zu erkämpfenden und ganz sicher schon lachend, mit Blumen in der Hand und ansatzweise aufgeknöpfter Bluse vor der Tür stehenden Zukunft. Vielleicht ist es auch schon die versuchte Simulation, die ernstgemeint ist? Die Simulation von etwas, das zwar nicht existiert, nie existiert hat und nicht funktionieren kann, aber ganz dringend ernstgenommen werden will? Was daraus folgt? Tendenziell die Zerstörung aller Gewissheit, jeglicher Bedeutungsgrenzen und jeder Glaubwürdigkeit im Bereich der Kommunikation. Außer der mit Gewalt durchgesetzten, wie sich beinahe von selbst versteht, für sterbliche, verletzliche, schmerzempfindliche und für Verwirrung wie Verzweiflung anfällige biologische Wesen, die es gewohnt sind und darauf angewiesen, in Beziehung miteinander zu handeln. |
|
|
|
Herr, weißt du, worauf wir zuhalten? |
|
Señor,
Señor, do you know where we’re headin’?
Señor,
Señor, do you know where she is hidin’? […]
Well,
the last thing I remember before I stripped and kneeled Aus: Bob Dylan, Señor (Tales of Yankee Power). Auf: Street Legal, 1978. Meine Übersetzung:
Herr,
Herr, weißt du, wo wir d’rauf zuhalten?
Herr,
Herr, weißt du, wo sie sich versteckt? […]
Also,
das letzte was ich erinnere, bevor ich mich auszog und
niederkniete |
|
“Less is a bore!” (Robert Venturi) „Weniger ist ein Langweiler [Loch; Sturzwelle; Bohrung]!“ “I am for richness of meaning rather than clarity of meaning; for the implicit function as well as the explicit function.” Robert Venturi, Nonstraightfoward Architecture: A Gentle Manifesto, Complexity and Contradiction in Architecture, 1966. „Ich bin für den Reichtum [die Fülle; die Reichhaltigkeit] von Bedeutung, eher als die Klarheit von Bedeutung; für die implizite Funktion ebenso wie die explizite Funktion.“
↖ |
|
Form follows cargo |
|
Eine mimetische Gesellschaft ist eine, die die Formen aus der Vergangenheit immer weiter wiederholt, obwohl sie deren inhaltliche Voraussetzungen und ihr allmähliches Verschwinden nicht begreift, im festen Glauben, dass die Ergebnisse einer Handlung vor allem von der korrekt rezitierten Form ihrer Ausführung und, besser noch, deren öffentlichkeitswirksamer Ankündigung abhingen. Als Maximen für die formelle Gestaltung selbst gelten darin, wie selbstverständlich und überflüssig zu erläutern, eigentlich, nicht mehr: “form follows function” und ‘less is more’ — die Leitsätze der architektonischen Moderne — sondern: “Anything Goes ! ” und ] form follows »»»impact««« [ what the heck was function? ] Zu Deutsch, in einheitlichem Format: Form folgt Funktion; weniger ist mehr; Alles geht [ist möglich]; Form folgt Eindruck — was zum Teufel war nochmal Funktion? |
|
||
|
|
Man kann natürlich auch das wieder miteinander mischen, muss ja, damit noch irgendwas läuft und die heiße Luft drinnen bleibt. Oder es wenigstens so aussieht. Die mimetische Gesellschaft lebt einerseits von Selbstverständlichkeiten und Produkten, die sie selber nicht oder nicht mehr herzustellen in der Lage ist und andererseits davon, jede ernsthafte Diskussion über das außer Rand und Band geratene Verhältnis von Form und Inhalt zu verweigern. Auch denen gegenüber, die den Laden hinter den Kulissen am Laufen halten. Die öffentliche Wirkung hat immer Vorrang. Wobei man schon immer wieder über alles reden kann, ja sogar soll, natürlich, ganz offen. Aber nicht über das Eigentliche. Das ist Tabu. Es ein Tabu zu nennen ist auch Tabu. Verletzung dieser Tabus wird mit demonstrativem Misstrauen und sozialer Ausgrenzung geahndet. Das ist eine Frage der Haltung und an der hängt auf einmal vieles. Da aber, wie alle wissen, Ausgrenzung nunmehr vermieden und abgebaut werden soll, was wiederum eine Frage der Haltung ist, muss es etwas anderes sein, was da passiert. Irgendetwas Respektables, wenigstens Tolerables. Es rundheraus eine Lüge zu nennen wird wiederum mit Ausgrenzung beantwortet. Eine Frage der … Und möglicherweise ist es ja auch keine, also nicht direkt gelogen, sondern mehr so, wie wenn man selber daran glaubt und gar nichts anderes mehr wissen oder beurteilen können müssen will. Und können wollen darf. Auf jeden Fall nicht als Laie. Weil: ist irgendwie besser. Sauberer. Hilfreicher. Vorzeigbarer. Aushaltbarer. Macht keinen unnötigen Ärger, allein schon jeden Abend vor dem Fernseher, der doch zu nichts führt. „Am Ende muss das jeder für sich selber wissen“ ist eine sehr deutsche Art auf so ein Dilemma, das keines zu sein hat, zu antworten, wie ich finde. |
|
„Form folgt Funktion (vielleicht nicht der, an die du denkst).“ |
|
|
|
Und wie ich des Weiteren fürchte, ist selbst die, was einige der heiklen Eigentlichkeiten angeht, langsam dabei, verdächtig zu werden. Und verdächtig sein … das kann Konsequenzen nach sich ziehen (wie aus sich selbst heraus — alte deutsche Tradition: Erkenntnisse und Folgerungen aus Erkenntnissen und mit deren Hilfe gefällte Urteile sowie auf Urteile gegründete Handlungen ergeben sich, insbesondere solcher heikler Art, über die verbindlich zu entscheiden (es) dem wahren Souverän — dem der immer mindestens eine Stufe höher ist als man selbst, aus Gründen, die einem zu beurteilen nicht zusteht, und dem man nicht in seine Angelegenheiten hineinzureden hat, damit nicht alles in Chaos und Orientierungslosigkeit endet — denn „einer muss den Hut aufhaben“ und mit Überlegungen in Form von Sätzen dieser Art kommen wir nie ans Ziel — was wiederum dir — als kleinem Menschen — nicht zu wählen oder gar zu setzen, eigenmächtig, obliegt, sondern eben, in der zu berücksichtigenden Wirklichkeit, dem über dir, ganz oben — anheim steht), Konsequenzen also (nicht so schöner Art) nach sich ziehen kann wie das den Zusammenhalt wahrende Prädikat am Schluss eines Schachtelsatzes, wenn es mit einem Mal (wieder) mehr um Identität, als um Handlungen und das Zeigen von Haltung — eigentlich mehr das Wiedergeben — als die Tugend selbstgewonnener, aus eigener Stärke eingenommener Haltung geht, als Antwort auf eigene Angst, nach der wiederholten Erfahrung eigener Schwäche und eigener, wie gemeinsamer Fehlbarkeit. |
|
|
|
|
|
Wenn die vorzugsweise durch Exempel glaubhaft gemachte Androhung von weitergehender Strafe für das nicht mehr Mitspielen hinzukommt und sich der Prozess der Entgrenzung fortsetzt, wird die Gewissheit, die einmal übrig bleiben wird, die der willkürlichen Macht sein. Ohne Sinn als den, sich in der allgemeinen Auflösung auszubreiten und dann alles dafür zu tun, um den Aufprall an der indifferenten Wirklichkeit hinaus zu zögern und mit nützlichen, dem Machterhalt darüber hinaus dienlichen Geschichten zu verdecken. |
|
Fehlbarkeit mögen wir hier gar nicht, im Land der großen Idealisten auf dem stets irgendwie zu kleinen und gleichzeitig, verglichen mit den Nachbarn, zu großen, vorläufigen und nie ganz sicher vernähten Flickenteppich aus Sprache (Dialekten) Geschichte(n) Brauchtum (verschiedener Art) Macht (zu konsolidieren) Verbindlichkeiten, Rücksichten und Grenzen, vielen davon. (Die dümmste Idee für den Haufen, wenn ihr mich fragt: Grenzen wegnehmen, in jeder Hinsicht. Die nächstdümmste: Sprache vernachlässigen oder weiter verkomplizieren.) |
|
Kulturfreizeitmaschinen |
|
Auf Segelbooten klappt das nicht, oder nur sehr begrenzt. Nicht, wenn sie wirklich segeln. Nicht wenn man selber dafür sorgen muss, dass sie es tun, weil es sonst kein anderer tut oder in Form von automatisierten technischen Routinen vorher getan hat. Die nicht beliebig kontrollierbare Wirklichkeit ist zu nah an Bord, man muss mit ihr umgehen, sobald man irgendwas will. Und was man will folgt vernünftigerweise einer einfach nachvollziehbaren Hierarchie von Imperativen: Zunächst einmal schwimmen, atmen, warm und halbwegs trocken sein, dann einer Richtung folgen, aufrecht bleiben … Die Folgen dummer Ideen sind unmittelbar zu erfahren oder zeigen sich meist nach relativ kurzer Zeit. Unangemessene Prioritäten haben Konsequenzen, deren Logik unbestechlich ist und die niemand befehlen kann. Entsprechend gibt es auch niemanden, den man dafür anklagen könnte außer sich selbst, der bzw. die schließlich freiwillig in eine Situation gelaufen ist, die dann zu bewältigen bleibt. Wie man das macht? Selber denken, Augen auf und alle anderen Sinne auch. Man lernt zu beobachten, die wesentlichen Vorgänge zu verstehen, zumindest so weit, dass man sie erfolgreich beeinflussen kann, mit dem was an Bord verfügbar ist. Etwas ausprobieren, gegen die Wirklichkeit werfen, möglichst so, dass man den Aufprall mit hoher Wahrscheinlichkeit überstehen kann. Wenn’s nicht gut funktioniert eine neue, bessere Idee entwickeln, erneut versuchen. |
|
||
|
|
Funktionierende Routinen entwickeln und immer wieder prüfen ob sie auch unter den gegenwärtigen Bedingungen noch die richtigen sind. Ein Gefühl für technische Toleranzen und Möglichkeiten sowie für Ungewöhnliches entwickeln. Nach brauchbaren Vorbildern Ausschau halten. Nichts blind übernehmen. Sich zumuten, eigene Entscheidungen zu treffen und nicht aus Angst und Selbstzweifeln das Kommando abzugeben, am Ende noch an jemanden, der gar nicht an Bord ist. |
|
Kennen Sie diese überaus hilfreichen Leute, die beim Anlegemanöver plötzlich auf dem Steg stehen und laut rufen, was man ihrer Ansicht nach zu tun hat? |
|
|
|
Wir haben weitaus längere Erfahrung in manchen Dingen, als uns häufig bewusst ist, und unsere Körper sind nicht schlecht darin, uns auf solche hinzuweisen, die wirklich Aufmerksamkeit brauchen, wenn wir sie nur nahe genug heran lassen. Am Ende sind es schließlich immer noch sie, die unsere großen und weniger großen Ideen ausbaden müssen. Auf dem Wasser gilt das im Zweifelsfalle buchstäblich. Und freundlicherweise lassen uns die typischen Geschwindigkeiten von Segelschiffen meistens Zeit, um mit Überlegung zu reagieren, jedenfalls mehr als Autos oder Flugzeuge. Ich wäre verloren, am Steuer von so einem Überschall-Jet. Ihre Langsamkeit und Verletzlichkeit sind es, welche dem vorausschauenden Handeln Gelegenheit dazu geben, in Übung zu kommen. Toleranz und Gelassenheit auch, ebenso wie Intoleranz und Entschlossenheit, da wo es an die Grundlagen geht. Man kann nicht alles richtig machen und nicht selten gibt es mehrere Wege zum Erfolg, aber die Grundbedingungen müssen stimmen, als da wären: Schwimmfähigkeit; Stabilität; Integrität; Steuerfähigkeit; Antrieb; Ausguck; Orientierung; Wetterschutz; Versorgung; Entsorgung; Organisation von Arbeitskraft und Erholung; Kommunikation im Innen und Außen; Regeln zur Kollisionsvermeidung und zur Nutzung von Wegen und Einrichtungen; Motivation zum Weitermachen; ein bisschen Wärme. Das ist die Basis. Darauf kommt das Spiel. Oder, außerhalb der phantastischen und doch realen Sonderzone der Sportschifffahrt, eben die Aufgabe: Cargo, Passage, Victory or Support thereof, including Survey, to bring in or to deliver — Verzeihung, Englisch ist die internationale Sprache der Seefahrt — Fracht, Passage, Sieg oder Unterstützung davon, einschließlich Erkundung, herein zu bringen oder zu liefern. |
|
|
|
Einbruch der Wirklichkeit |
|
Wir sind hier schließlich nicht in Sternenstaub-Kitschkinderbuchland für verträumte Einhorn-Prinzessinnen, sondern in einer Welt voller hungriger und von anderen hungrigen Tieren gehetzter Tiere, vollkommen gleichgültiger, Tierkörper zersetzender Mikroben und Mikrobenreste aufsaugender Pflanzen, die auch keine Chance vergeben, um etwas mehr Licht als andere Pflanzen zu bekommen und den verdammten Viechern den Appetit zu verderben, außer den nützlichen Idioten, die einem, also seinesgleichen Kopien — häufig überlagert und mit winzigen Veränderungen auf die Reise geschickt — helfen, dahin zu kommen wo man hin laufen oder fliegen oder schwimmen würde, wenn man nur … Zu allem Überfluss wird es regelmäßig dunkel und kalt und, als ob das nicht reichen würde, fallen ab und zu Dinge vom Himmel oder kommt irgendwelches heißes Zeug von unten oder von der Seite oder rutscht was ab und schlägt Wellen, gerade da wo man mal für einen glücklichen Moment … In eben diesem Spiel — also dem Spiel von dem, was ein weiser Mann mit Sinn für Poesie, der vor gut fünfhundert Jahren in Indien lebte, als Tanz der Welt in Gelächter und Tränen besang — so etwas ähnliches wie eine der genannten Aufgaben machen zu dürfen, nur eben ohne Lieferkontrakt, Fahrplan, Blutvergießen, Kriegsgericht, Missionsrapport, nach eigener Maßgabe und zum Vergnügen, auch als nicht hochwohlgeborener, mehr oder minder normaler Bürger mit nicht sonderlich viel überschüssigem Geld in der Tasche, ist etwas, das an die historisch außerordentliche Besonderheit einer industrialisierten Welt mit breit verteiltem Wohlstand gebunden ist. Und der größte Teil der Sportschifffahrtsgeschichte läßt sich wiederum ohne weiteres als eine Ersatzhandlung für nicht geführte Seekriege, bzw. Gefechte oder erzielte Frachtraten deuten: To bring in Victory, defined as first ship crossing the finish line, at least by corrected time — Sieg einzubringen, verstanden als erstes Schiff das über die Ziellinie geht, zumindest nach Berechneter Zeit. Silber holen, auf das Trophäenbord, zum Ruhme der durch Interesse, Sprache, Geschichte und praktisch auch sozialen Stand definierten Gemeinschaft. Sogar mit eigenen Flaggen, in Form dreieckiger Stander, die in der symbolischen Hierarchie — welche traditionell sehr wichtig genommen wurde — sogar noch über der Nationalflagge stehen. Regatten als zentrale Praxis, nach streng einzuhaltenden Regeln, mit Wettfahrtausschuss und Sportgericht, versteht sich. Wir sind hier doch nicht in Sternenstaub … |
|
Zur Erinnerung an die Realität von Segelfrachtschiffen, von einem der vor knapp einhundert Jahren auf einem der letzten wirklich großen gefahren ist, das selbstverständlich nicht mehr aus leck werdenden Holzplanken war und ist, sondern aus in Hamburg zusammengenietetem Schiffbaustahl: “The only thing is dry on that ship is the cargo and if you don’t bring in dry cargo, you might as well stay at home, so cargo is cared for absolutely. The seamen, they must take care for themselves.” Irving Johnson, in: The Peking battles Cape Horn, 1929/1980. Meine Übersetzung: „Das Einzige, was trocken ist auf dem Schiff, ist die Fracht und wenn du keine trockene Fracht hereinbringst könntest du ebenso gut zu Hause bleiben, also wird sich um die Fracht absolut gekümmert. Die Seeleute, die müssen sich um sich selbst kümmern.“ |
|
Scene individable, or squeaky poem unlimited |
|
Aus den epischen Fehlleistungen und kleinen Übermütigkeiten von halbverständigen Landsäugetieren in schaukelnden Kisten mit allerlei Schnüren, an Stangen gespannten Drähten und großen, halblose in den Wind gehaltenen Tüchern auf See entstehen dann wiederum und nebenbei großartige Memes, ohne Absicht, aber mit Herz und Freiheit. Wie auf einer offenen Bühne, die an die Wirklichkeit, oder deren nicht oder wenig kontrollierbare Teile vielmehr, gefesselt ist und ihre Protagonisten in wechselnden Abständen mit Salzwasserspritzern — wie immer mit einigen streitenden Pflanzen (Algen) Kleintieren und Mikroben darin — und hüpfend-nickenden Rollbewegungen an diesen ernüchternden und zugleich belebenden Umstand erinnert. |
|
|
|
|
|
Übrigens gibt es eine Verbindung von Kontrolle, Verlust bzw. Aufgabe derselben und der künstlerischen Tugend der Anmut. Es hat mit der Transformation freiwillig gesuchter negativer Empfindungen beziehungsweise Gefühle zu tun. Man kann das üben. Mag sich komisch anhören, aber für Sportsegler ist das ganz normal und meist auch gar nicht weiter der Rede wert. |
|
Bei genauerer Betrachtung ist in Landnähe nicht einmal der Wind frei von Viechern! (Aeroplankton.) |
|
|
|
„Wir leben so behütet hinter unseren zivilisatorischen Mauern, dass wir sogar vergessen haben wovor uns diese beschützen“ und „wir imitieren, was wir anbeten“ hat ein aufmerksamer Beobachter menschlicher Regungen aus der englischsprachigen Welt sinngemäß gesagt, das letztere im Kontext einer Analyse, die von einem gegenwärtigen „Kollaps des Heiligen in das Profane“ handelt, dessen Name jedoch inzwischen so sehr mit Konsequenzen verknüpft ist, dass ich ihn unmöglich hier nennen kann. |
|
“Anything Goes” anyone? — „Alles möglich“ für irgendwen hier in der Runde? Über’s Eigentliche sprechen, öffentlich, mit Leuten, die sich auskennen? Kein Problem, nirgends? |
|
Based narratives |
|
Schiffe können großartige Geschichtensammelmaschinen sein, wenn man sich auf die eigentümliche Welt, die sie mit ihrem ganzen umständlichen Drumherum erzeugen, einlässt und sie zu bedienen lernt. Geschichten sind der Stoff, auf dem die Träume wachsen und das Verstehen der Wirklichkeit. Träume zu finden, die in die teilweise ergründete Wirklichkeit passen und nicht alles mühsam errungene, Stein für Stein aufgeschichtete, verbundene, nach Nützlichkeit gewogene, gemeinsam aufgerichtete, mit Geduld gezähmte und in beharrlicher Zuwendung zu etwas Schönem gewordene wieder kaputt machen, ist eine Grundtugend des Lebens in der Zivilisation. Und Zivilisation ist das, was der übergroßen Mehrheit von rund sieben (oder schon acht) Milliarden dieser vergleichsweise schwachen, leicht frierenden, sinnesmäßig eher mittelgut ausgestatteten und auch nicht besonders schnellen, zudem zum Stolpern neigenden Tieren mit ihren großen, kaum durch die Pforten der Welt passenden Köpfen das Überleben und heute anteilig häufiger, als je zuvor weitaus mehr als das erlaubt. Im Sinne der Überlebens- und Wohlgefühlschancen eines zufällig herausgegriffenen Neugeborenen — nicht Gewissheiten wohlgemerkt — ist es das Beste, was einem nach Maßstäben der irdischen Vergangenheit passieren kann, bei weitem. Das Gegenbild zur Zivilisation ist die Wildnis, welche wiederum als das Idealbild von Natur gelten kann. Die in wahrscheinlich allen postmodernen Tourismuswerbetexten beschworene „unberührte Natur“ ist ein schlechtes, weil furchtbar verkitschtes Abbild davon. Meist ist es nicht mehr, als ein billiges Abziehbild, das an die erstbeste panoramafüllende Ansammlung von Pflanzen gepappt wird, die nicht in Reih und Glied oder am falschen Ort — in der Stadt — stehen. (Als ob es keine Wildblumen-Saatgutmischungen zu kaufen und gemäß landschaftspflegerischer Begleitpläne auszubringen gäbe.) Spätestens nach dem ersten Touristen kann sie nicht mehr unberührt sein. Und wenn Touristen die ersten wären, die irgendwo hinkämen, würden sie Entdecker, Pioniere oder Siedler heißen. Man kann keine Entdeckungsreisen buchen. Was man innerhalb der Zivilisation kann, ist Dinge wiederfinden und nachspielen, außer weiterbauen, reparieren, in Gang halten, weitertragen natürlich und es sich gut gehen lassen, so gut es geht, nach den jeweiligen Möglichkeiten. Man kann Zivilisation auch als etwas auffassen, was menschlichen Gesellschaften mehr Möglichkeiten gibt und somit ihre Macht vergrößert. |
|
Wie lange dauert es, bis eine „renaturierte“ vormals „durch den Menschen zerstörte“ Fläche — oder ein jahrhundertelang bewirtschafteter Forst mit Kreidetagebauen — als „unberührte Natur“ gelten, entsprechend verkauft und schließlich als „bedrohte Natur“ „eines der letzten Paradiese“ und „Rückzugsraum für bedrohte Viecherart soundso“ unter Schutz gestellt werden kann?
|
|
|
|
Zivilisation bedeutet Befreiung und Unterwerfung zugleich. Die alten Abhängigkeiten gegen neue zu tauschen, aber für mehr Möglichkeiten, mehr Menschen und längere Lebensspannen. Besseres Essen, bessere Musik und größere Spiele. Mit den Werkzeugen kam die Abhängigkeit von ihrer Nutzung und Herstellung. Mit der Besiedelung kühlerer, unwirtlicher Gegenden kam die Abhängigkeit von Kleidung, Zelten, Hütten und Häusern. Mit dem Fernhandel kam die Abhängigkeit von Verkehrsmitteln. Mit der Sprache kam die Abhängigkeit von ihrer sinnvollen Benutzung und das Problem des Übersetzens. Mit der Schrift kam die Abhängigkeit von Notizen und Schriftgelehrten oder Schriftlehrern, zumindest für ganz wichtige Dinge. Mit der gedruckten Schrift kam die Abhängigkeit von alltäglichem Papierkram und Masseninformationsmitteln. Mit jeder bedeutenden Kulturtechnik, auch jeder neuen Nahrungs- und Energiequelle und der Nutzung ihrer Vorteile kam die Abhängigkeit von ihr, mitunter auch der Verlust des Wissens um die alte Technik und ihre vielen Nachteile, manchmal auch zu Unrecht vergessenen Vorteile. Viele, die behaupteten die Grenzen des Möglichen und Tragbaren sicher zu kennen sind von der Realität überholt worden, zuvorderst in der Zeit der Industrialisierung. Aber schlaue Reisende notieren sich ihren Reiseweg und lassen die Fäden in die Vergangenheit nie ganz abreißen. Wer große Schiffe baut sollte immer noch selber schwimmen können. Jetzt gerade sind wir dabei uns in die Abhängigkeit von elektronischen Maschinenwesen zu begeben. (Ich weiß nicht ob der Begriff Wesen anstelle von Werkzeug hier schon angebracht ist, aber wenn ich an mein Smartphone denke kommt es mir so vor.) Wenn die technischen Wesen neben ihren deterministischen Eigenschaften und chaotischem Zerfall auch so etwas wie einen bedingt freien Willen entwickeln — entwickelt bekommen — haben wir möglicherweise ein Problem, bzw. noch mehr Probleme mit den dummen Menschen, die versuchen diesen Willen zu Lasten anderer Menschen zu manipulieren. Eine gute Antwort darauf weiß ich auch nicht, aber der Weg zurück ist auf keinen Fall einer aus der Abhängigkeit an sich und er würde weniger Menschen Raum und Möglichkeiten lassen, da bin ich mir sicher. Ich bin niemand, der das Recht hätte, Menschen zu sagen, dass gerade ihr Leben aber nicht zählt und sie eben nicht mitkommen können, in das frühere Paradies. Und ich bin mir sicher, dass alle früheren Paradiese keine waren. Die menschliche Welt vor der Sprache und den Werkzeugen war kein harmonisch-heiteres Vor-Sich-Hindämmern, sondern ein verzweifelter Kampf ums Überleben in einer fundamental gleichgültigen und, in Gestalt einiger sehr viel stärkerer Mitwesen, gierig-feindlichen Umgebung. Kein Prädator wird auf seine Beute verzichten, wenn er damit seinen Hunger und den seiner Jungen besänftigen kann. Eisbären fressen Robben fressen Fische fressen Kleintiere usw.. Auch Ponys fressen Gras. Großkatzen fressen gerne Ponys, wenn sie an sie herankommen. Einzeller fressen die Reste toter Ponys und auf auf den Zersetzungsprodukten der Einzeller wächst irgendwann Gras. Wenn das Gras könnte und damit erfolgreicher wäre, würde es Ponys fressen. Ein Baum, der den Gräsern das Licht wegnimmt hat nicht das geringste Problem damit und die Pilze im Boden würden sich über jeden toten Baum freuen, wenn schleimige Schlauchknäuel so etwas wie Freude empfinden könnten. Sie sind einfach. Sie sind so geworden. Was nicht bedeutet, dass da keiner ist, der sie frisst und Pilze mit Empfindungen nicht noch werden könnten, wenn sie sich denn als erfolgreicher im Bäume-Zersetzen herausstellen. Der wilde Löwe, der mit dem Lamm kuschelt und trotzdem zu fressen hat ist eine paradiesische Fiktion. Das „freie Leben“ in einer Kleingruppe nackter, schwächlicher Affen in der Wildnis ist ein sehr begrenztes und von Elend und Unterdrückung geprägtes. Die Löwen und Pilze warten schon, Aas und Baumrinde schmecken scheußlich und auch Ponys treten kleine Mädchen, die unwillig sind aus Erfahrungen zu lernen. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir ohne Sprache und Werkzeuge nicht mehr hier wären. Dann würden sich jetzt oder demnächst andere, intelligenter werdende Arten über Staatsaufbau, religiöse Mythen und Regeln zum Tierschutz streiten. Schützen kann man nur etwas was man beherrscht, zumindest ganz entscheidend beeinflussen kann, sonst ist es dümmliche Anmaßung. Ein Schutz, der dem eigenen Nutzen dient ist Herrschaft, Gestaltung, Eingriff, nichts weiter. Was nicht bedeutet, dass alles kontrolliert oder kontrollierbar sein müsste. Eine paradiesische Existenz ist auf dieser Welt prinzipiell unmöglich. Dem Drama entkommen wir nicht, aber ohne Mitgefühl verlieren wir die Menschlichkeit (und wären, wie ich stark vermute, auf Dauer auch nicht erfolgreich im Überleben). Aber wir dürfen auf kleine Verbesserungen und das Lachen hoffen, wenn wir in die richtige Richtung laufen. Eine Entscheidung aus Erfahrung zu lernen, Leid zu lindern, Menschenleben zu bewahren und ihre Möglichkeiten zu vergrößern ist ein Schritt in diese Richtung. Eine Entscheidung dagegen ist ein kleiner Schritt in eine Richtung, die bei konsequenter Verfolgung zum Verschwinden der Menschheit führen würde, in einem Ozean von Leid und Verzweiflung, zum Spott der Götter. Nur Dummköpfe setzen ihren Schritten keine Grenzen. Auch die Vorwärtsrichtung mag zum Verschwinden der Menscheit — oder deren Entwicklung hin zu etwas anderem — führen, insofern ist es wohl absurd auf einen Ausweg zu hoffen. Unter der Bedingung des Todes ist er für den einzelnen Menschen ohnehin versperrt. Aber der Weg ist besser. „Wir dürfen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“ (Albert Camus.) Aus: Conditio humana. Eine Annäherung an die politische Gegenwart. Unveröffentlichtes Manuskript, Juni 2020, mit kleinen Änderungen im Juni 2022. |
|
||
|
|
Was man außerhalb der Zivilisation kann? Um’s Überleben kämpfen. Wenn man Erfolg damit hat, spätestens in zweiter Generation und an Ort und Stelle sowie in Verbindung mit den Anderen bleibt, ist es nicht mehr außerhalb … Vorposten nannte man das früher. Außerdem ist „unberührt“ irgendwo in Mitteleuropa ohnehin himmelschreiender, ahistorischer Unsinn. Falls es das ist, was sie suchen: Sorry, Sie kommen zehntausend Jahre zu spät für das authentische Erlebnis. Und ob es damals wirklich das war, was Sie in dem vermutlich heillos romantisierten Bild davon suchen? Ob darin das ist, was ein Neugeborenes sucht? Ich fürchte, was Sie dann suchen ist ein Simulacrum: Die Kopie von etwas, das nie existiert hat oder das verloren gegangen ist. |
|
⤒nach
oben |
|
Anatomische Erkundung einer sozialen Konstruktion oder: Wissen Sie eigentlich, was Sie da glauben? |
|
[Teilhintergrundbild, alle 5 sec wechselnd, in einer Serie aus 5 Bildern mit Steuerzeichen, das erste mit Aufschrift:] NATUR ERLEBEN Home / Rügen entdecken / Aktiv und Natur / 30 Jahre Schutzgebiete Wir brauchen die Natur. Als Lebensgrundlage, als Rückzugsort, als Quelle der Regeneration, heute mehr denn je. Wir brauchen ihren Schutz. Wenn es regnet, ist es das grüne Dach des Buchenwaldes auf Jasmund, das uns vor den Tropfen schützt, die ihr Konzert auf die Blätter trommeln. Wenn der Wind tost, ist es der Stamm eine der alten Eichen des Putbuser Schlossparks, deren zerfurchter Stamm uns Zuflucht gewährt. [Fünfzeilige Beschreibung des Biosphärenreservates Südost-Rügen] Anders im Nationalpark Jasmund, dem kleinsten Nationalpark in Deutschland. Hier trifft die höchste Erhebung der Insel auf Kreideküste und Königsstuhl, auf dichte Buchenwälder, aber auch auf Moore und Wiesen. Hier soll sich die Natur weitgehend ungestört entwickeln können, seltenen Pflanzen und Tieren Unterschlupf bieten wie dem Eisvogel, dem Seeadler, den Zwergschnäppern, oder der Rotbauchunke. [Vierzeilige Beschreibung des Nationalparkes Vorpommersche Boddenlandschaft] All diese Landschaften, geschützt und schützenswert sind es, die Rügen zu einem wahren Naturreich machen. [Mosaik aus 8 responsiven Bildflächen-Link-Kacheln in 3 verschiedenen Größen, mit Aufschriften in weißen Großbuchstaben] [Eigenwerbeslogan, fett gesetzt] [Fußzeilen, dreispaltig] Wir sind Ihr Zuhause fernab des Alltags! Vom luxuriösem Strandhotel mit Möwenwecker bis zum urgemütlichen Ferienhaus inmitten unberührter Natur. Aus: https://www.ruegen.de/aktiv-und-natur/30-jahre-schutzgebiete, Transkript ohne Bilder und Hyperlinks, mit Hervorhebung wie im Original, 9.3.2021. |
|
|
|
|
|
Hier
wechselt ungebändigtes
Tosen der
Ostsee mit dem Klang der Stille ausgedehnter Lagunen, den so
genannten Bodden. Mit ungebremster
Energie ringt
das Meer den Westküsten Sand ab, den die Strömung ostwärts
bewegt und damit junges Land nährt. Das
freie Wirken der Naturkräfte formt
eine einzigartige Inselwelt. Immer
wieder neu wird
das Mosaik aus
Stränden, Windwatt, Dünen, seltenen Küstenheiden, urigen
Mooren, wilden Wäldern und weiten Wasserflächen gestaltet. Aus: https://www.ruegen.de/aktiv-und-natur/vorpommersche-boddenlandschaft, Transkript, 9.3.2021. Meine Hervorhebungen. Grüner Buchenwald, weiße Kreidefelsen und blaues Meer – die Halbinsel Jasmund auf Rügen gehört zu den berühmtesten Charakterlandschaften Deutschlands. Caspar David Friedrichs Gemälde der Kreidefelsen, eine Ikone der deutschen Romantik, dominiert bis heute unser Bild von Rügens Küste. Die alten Buchenwälder im Herzen des Parks gehören zum UNESCO Welterbe. Die weiß leuchtenden Felsen bestehen aus 70 Millionen Jahre alter Kreide. Die Natur hat sie aus den Skeletten unzähliger einzelliger Lebewesen aufgeschichtet, die das kreidezeitliche Meer dort einst hinterließ. Der höchste Punkt der Kreideküste ist der 118 Meter über dem Strand aufragende Königsstuhl. Von hier aus führt ein Weg durch den schattigen Wald mit ehrfurchtgebietenden Baumveteranen und tief eingeschnittenen Bachtälern zum stillen, sagenumwobenen Herthasee. Seit der Nationalparkgründung 1991 formte die Natur in Deutschlands kleinstem Nationalpark ein Bild urwüchsiger Wildnis. Hier wird der größte zusammenhängende Buchenwald des Ostseeraumes geschützt und in ihm eine erstaunliche Vielfalt unterschiedlicher Lebensräume auf kleinstem Raum. Mehr als 100 Moore, Seen, Quellen und Bäche werden von ehrwürdigen Buchenwäldern eingerahmt. Mit den Flachwasserbereichen der Ostsee vor den Kreidefelsen bietet der Nationalpark zudem einer vielfältigen Unterwasserwelt eine sichere Heimat. Aus: https://www.ruegen.de/aktiv-und-natur/nationalpark-jasmund, Transkript, 9.3.2021. Meine Hervorhebungen.
Der
Südosten Rügens mit der idyllischen Halbinsel Mönchgut, der
urwaldartigen Insel
Vilm,
den
Buchenwäldern
der
Granitz und der Umgebung der alten Residenzstadt Putbus ist eine
vielfältige harmonische Kulturlandschaft,
in der Land und Meer eng miteinander verbunden sind. Der
natürliche Reichtum ist groß:
kilometerlange Sandstrände, stille Bodden mit schilfgesäumten
Ufern sowie alte Bäume, buntblühende Trockenrasen, schattige
Alleen u.v.m.. Aus: https://www.ruegen.de/aktiv-und-natur/biosphaerenreservat, Transkript, 9.3.2021. Meine Hervorhebungen. Direkt am berühmten Kreidefelsen Königsstuhl und im Herzen des UNESCO-Weltnaturerbes „Alte Buchenwälder“ bietet das Nationalpark-Zentrum KÖNIGSSTUHL ein besonderes Naturerlebnis.
Im
Nationalpark-Zentrum ist ein unterhaltsamer Tag bei jedem Wetter
garantiert. Es gilt eine Ausstellungsfläche auf 2.000qm
und ein 28.000qm großes Außengelände zu entdecken. Im
Mittelpunkt steht die Botschaft des Nationalparks: „Natur
Natur sein lassen.“ Aus: https://www.ruegen.de/vor-ort/inselhighlights/nationalpark-zentrum-koenigsstuhl, Transkript, 9.3.2021. Meine Hervorhebungen. Auch das Hochland der Insel Hiddensee lockt mit einzigartigen Ausblicken. Hoch über dem Meer atmet die Seele absolute Freiheit. Atemberaubende Ausblicke mit Weitsicht wecken Fernweh oder laden ein zur inneren Einkehr. Aus: https://www.ruegen.de/aktiv-und-natur/wandern, Transkript, 9.3.2021. Meine Hervorhebungen. Schon 1980 war klar, dass man nicht irgendeine Rasse professionell züchten wollte, sondern das Rauhwollige Pommersche Landschaf. Das genügsame Schaf mit dem schwarzen Kopf ist schon 3800 Jahre alt und war bis 1950 noch weit verbreitet. Doch 1982 war es nahezu ausgestorben. Erst als man erkannte, dass bestimmte Landschaftsformen nur erhalten werden können, wenn sie gepflegt werden, wurden diese robusten Tiere wieder wichtig. Und so sieht auch Frank Westphal, der seinen Biohof gemeinsam mit seinem Bruder Christian und einem Mitarbeiter führt, die Landschaftspflege als sein Kerngeschäft. Als Vertragspartner des Biosphärenreservats Südost-Rügen lässt er seine Tiere auf fast 300 Hektar Land auf Mönchgut und in Prora weiden. So bleiben die Mager- und Trockenrasen erhalten, die einer ganz speziellen Flora und Fauna Lebensraum bieten. Und das Pommernschaf ist die ideale Besetzung, weil es so genügsam ist und sich über die Jahrtausende optimal an diesen Lebensraum angepasst hat. Aus: Susanne Burmester, Als Schäfer im Biosphärenreservat Südost-Rügen, https://wirsindinsel.de/2020/02/27/als-schaefer-im-biosphaerenreservat-suedost-ruegen, Transkript, 9.3.2021. Meine Hervorhebungen. Die Landschaft ist einzigartig: Artenreiche Magerwiesen und Halbtrockenrasen bedecken die sanft geschwungenen Hügel. Mehr als 90 der hier vorkommenden Pflanzenarten stehen auf der Roten Liste der gefährdeten Arten. Auch seltene Tiere und Insekten, wie der Karmingimpel oder die Sperbergrasmücke und eine Reihe seltener Tagfalter sind hier zu Hause. Eine faszinierende Naturlandschaft, immer eine Wanderung wert. […] [Halbumflossenes Bild: Trockenrasenhügel vor Meereshintergrund mit Küstenlinie] Bald macht der Weg eine Biegung und führt mich ein letztes Stück durch den Ort, vorbei an pittoresken reetgedeckten Häusern, eines schöner als das andere, vorbei an einer Herde frisch geschorener, rauwolliger Pommernschafe. Kaum habe ich das letzte Haus hinter mir gelassen, wird der Pfad schmal. Ich bin allein, keine Menschenseele ist zu sehen. [6 kurze Absätze mit 2 abwechselnd halbumflossenen Bildern unter den Zwischentiteln „Vorboten der goldenen Jahreszeit“ und „Gipfelglück auf dem Bakenberg“] Ein wenig noch genieße ich die Aussicht, dann geht es den Berg hinunter. Und zwar so, wie ich es in den Alpen gelernt habe: klein gemacht, mit kurzen Schritten. Hätte ich nicht schon dort die Liebe zum Wandern entdeckt, dann doch spätestens hier – in der berauschend schönen und ungezähmten Landschaft der Zicker Berge. Aus: Claudia Große, Wandern auf Rügen: Gipfelglück in den Zicker Bergen, https://wirsindinsel.de/2018/09/12/wandern-auf-ruegen-gipfelglueck-in-den-zicker-bergen, Transkript, 9.3.2021. Meine Hervorhebungen. |
|
Ich bitte diesen Abschnitt nicht als grundsätzliche Wertung der beschriebenen Landschaften oder gar der Person der jeweiligen Autoren misszuverstehen: Es ist wahrscheinlich sehr schön dort und einen Besuch wert, soweit ich von See her, vom Bodden und der Straße aus und am Rande der Stadt erkennen konnte. Die Blog-Autorinnen verstehen es, ansprechende Texte zu schreiben, ihre Begeisterung glaube ich ihnen aufs Wort und alle der betrachteten Webseiten sind sehr professionell gestaltet. Gerade das gelungene Zusammenspiel von Bildern, Textinhalt und Typographie bzw. Webdesign könnte eine eingehendere Betrachtung wert sein. Die Art, wie darin Emotionen in erhebender Abfolge beiläufig geweckt bzw. als Ahnung angestimmt werden, erinnert an die Kunst englischer Landschaftsgärten aus der Romantik, wenn auch mit bemerkenswert absurden inhaltlichen Brechungen auf mehreren Bezugsebenen. Mir geht es um das Verständnis und die Kritik der sozialen Konstruktion von Natur (als Gegensatz zu Kultur) und deren Schutzbedürftigkeit, der damit erfolgenden Übernahme bzw. Umverteilung von realer Macht, sowie ihrer, eben im Rahmen dieses Schutzes praktisch erfolgenden (kulturellen) Gestaltung unter den Bedingungen der Postmoderne. Wer sich von den düster-pittoresken Anklängen irritiert findet, welche durch meine in Teilen gedichtartig zusammenfindenden Hervorhebungen durchscheinen, ist freundlich eingeladen, sich mit der Ideengeschichte der Deutschen (National-) Romantik zu befassen. Ich meine nicht, dass das alles irgendwie „bäh“ ist, schon gar nicht der große Caspar David Friedrich oder schöne Gefühle beim Wandern im Wald mit Meerblick — die kleine Kostprobe, die ich mir im letzten Sommer am Rande vom Jasmunder Heiligtum genommen habe, war wirklich schön — auch nicht der Gedanke von Landschaftsparks [sic!] an sich, wohl aber, dass es reflektiert gehört und nicht blind als Leitschnur in die Gegenwart gekleistert. Schon gar nicht in der Verkürzung auf den Aspekt der Naturver(kla)ehrung. Zwischen Romantik und Gegenwart war, sich überlagernd, die Moderne, als kultureller Abschnitt und speziell Strömung in den Künsten, welche ich alles andere als eindeutig zu bewerten und ebenfalls der kritischen Würdigung wert finde. Beides zusammen ist Teil des breiten kulturellen Hauptstromes der Modernität (engl.: era of modernity — ab etwa 1500 n.Chr. — gegenüber modern times i.e.S. — etwa 1860 bis 1970 — mit modernity gegenüber modernism als Leitideenbündel) welche voller schreiender Widersprüche ist und gegenwärtig wie seit Jahrhunderten nicht mehr unter geistigem Beschuss steht, von großen Geschützen in getarnten Stellungen und einer wachsenden Zahl fanatisierter Sturmtruppen mit breitem Tross, angefüttert mit geistesweltlichen Versatzstücken, mit bereits deckend liegenden Salven. Möglicherweise blicken wir, erschrocken vom aufgewühlten Wasser, bereits dem Entschwinden des vermeintlich sicheren Hafens nach und realisieren zu langsam, dass wir uns auf einem ausfahrenden Schiff befinden. Sorgen wir dafür, dass es kein, in schier endloser Dunkelheit treibendes Geisterschiff wird oder als Aschehäufchen am Strand eines vermeintlichen Paradieses endet. Dass ich nicht dazu neige, billige Schmähetiketten auf alles zu kleben, was mir irgendwie nicht gefällt, hoffe ich deutlich gemacht zu haben. Ich bitte darum, das im umgekehrten Falle genau so zu halten. Und Rauhwollige Pommersche Landschafe sind wunderschöne, praktische und auch nicht wenig kräftige Tiere, wie ich einmal mit eigenen Händen, anläßlich eines Schurfestes bei einem liebevollen Züchterpaar zwischen Weser- und Elbemündung erfahren durfte. Zum Zeitpunkt der spontanen Niederschrift des experimentellen Transkriptes von „Rügen 30 Jahre Schutzgebiete“ wärmte eines ihrer Felle mir den Rücken und die Seele. Männliche Schafe werden häufig nicht alt, wie ich lernen musste. Nutzungslogik. Naturschutzlogik wäre es, sie sich selbst bzw. den Wölfen zu überlassen und sich dann große Sorgen über den abnehmenden Bestand der Herden und die „Verbuschung der Landschaft“ zu machen. Landschaft ist übrigens ein Begriff, der ursprünglich die zu einer Stadt gehörenden, vor allem ihrer Versorgung dienenden Ländereien bezeichnete. Vergleiche bei Lucius Burckhardt: Warum ist Landschaft schön? Die Spaziergangswissenschaft. Markus Ritter & Martin Schmitz (Hrsg.) Berlin, 2006. |
|
|
|
„Seit der Nationalparkgründung 1991 formte die Natur in Deutschlands kleinstem Nationalpark ein Bild urwüchsiger Wildnis.“ Diesen Satz würde ich so unterschreiben und in groß vor den Eingang hängen. Zusammen mit einer Kurzbeschreibung derjenigen, anhand ihrer Tätigkeiten und Leitideen, die an entscheidender Stelle mitgeformt und das Bild so passend „… von ehrwürdigen Buchenwäldern eingerahmt“ haben. So in der Art etwa, wie sich Kuratoren in einem Museum präsentieren. Vielleicht könnte man auch Audio-Guides mit Kunst-/ Natur-/ Kulturhistorischen Erläuterungen bereithalten? Ach so, ab welchem Nutzungsgrad sind Buchenwälder eigentlich nicht mehr ehrwürdig? Kann man sich da irgendwie rantasten? (Nicht schlagen, bitte!) Was ist mit der Nutzung als Haupttouristenattraktion und Bildungsstätte? Die ist aber schon okey, oder? Ich mein’ sonst könnte man ja auch einfach ’ne Mauer d’rum bauen, so mit Türmen und Stacheldraht — „Totalreservat, Betreten nur mit Sondergenehmigung des Eigentümers“ — oder in netter, so wie früher die Adelsgüter oder davor die Klostergärten abgegrenzt waren. Wie viele Hunderttausende laufen da jetzt durch im Jahr? Ab welchem natürlichen Veränderungsgrad, etwa durch fortschreitende Küstenerosion seitens der ungebändigt tosenden Ostsee, wären sie nicht mehr ehr- und, wie ich, dem Leitgedanken des Schutzes folgend, vermute, irgendwann auch nicht mehr verteidigungswürdig? Oder gilt die Botschaft des Nationalparks auch hinsichtlich seiner eigenen Zerstörung bzw. Umgestaltung durch Naturkräfte? Das Witte Kliff auf Helgoland ist schon weg, ich sag’s nur. Und auch wenn sie da nichts abgebaut hätten wäre es nur eine Frage der Zeit gewesen, ganz natürlich, mitten in der Nordsee, genauso wie mit den stehengebliebenen Resten von Brandungstoren auf der Hauptinsel, die sie schon mehrfach stabilisiert haben, mit Beton und Ziegeln, wegen Wahrzeichen, Naturdenkmal, Touristen und so. Und, dass Erosion durch Meereswellen, Hoch- und Niedrigwasser, Niederschläge und Frostsprengung, Hangkriechen und -rutschungen, Lösungsvorgänge einschließlich solche biogener Art, natürliche Vorgänge sind — Verbiss und Zertrampeln durch respektlose (Säuge-)Tiere nicht zu vergessen — oh, Blitzeinschläge, Wildfeuer und Windbruch ebenfalls, natürlich — steht doch wohl außer Frage, oder? Bekommen Buchen eigentlich auch Krankheiten, so von Natur aus, oder ist das dann immer irgendwie über sieben Ecken anthropogen (durch menschliches Handeln begründet) geframt; eingeramt? Was war eigentlich vor den Buchen? War das nicht ehrwürdig? (Und wäre es unter Umständen der Renaturierung würdig?) Und das neben den Buchen, in den alten, also den noch nicht so weit überwachsenen und unter Schutz gestellten Kreidetagebauen, das sieht doch auch schön aus, ist das auch Natur? Ab wann? (Und wenn es eines Tages als besonders schön gelten sollte — und mir gefällt es jetzt schon sehr, gerade im Kontrast zur Umgebung — sollte man dann nicht mehr davon machen?) Ansonsten bitte ich das Reich von Rohrweihe, Rohrdommel und Ringelnatter, sich erstreckend in die Kinderstuben des weiten Schilfgürtels im Rücken der ungebändigt tosenden Ostsee, mit ungebremster Energie den gebeutelten Westküsten Sand abringend und im freien Wirken der Naturkräfte neues, junges, siegesgewisses Land nährend, gebührend zu würdigen. Ebenso den sehr mitfühlend, bitteschön zu betonenden, ganz bezaubernd zärtlich-kühnen und an den weiten Bogen des historischen Werdens; das Endziel aller ökologischen Sukzession von lokaler Weltgeltung gemahnenden Satz: „Im nackten Sand der Dünen keimen Kiefern und bereiten den Weg für Buchenwälder.“ Hiddensee, alte Dünen-Hutungsschlampe, mach dich bereit! Deine Zukunft liegt im Osten, 20 Meilen weiter. (Was wohl die Kuratoren vom NP Vorpommersche Boddenlandschaft dazu sagen würden, Windwatt, Dünenheide, natürliche Abtragsdynamik und so?) Und sorry, das siegesgewiss hat sich da irgendwie reinverirrt, aus der sagenumwobenen Tiefe des exklusiven Lebensraumes der sicheren Heimat eingeschnittener Bachtäler unter ehrfurchtgebietenden (Baum-)Veteranen wahrscheinlich. Beachtlich auch, dass die Natur in ihrer geheimnisträchtigen, selbstbezogenen Gestaltungsmacht die weiß leuchtenden Kreidefelsen um den gewiss majestätisch aufragenden Königsstuhl aus Skeletten unzähliger Lebewesen aufgeschichtet hat, die ihr das kreidezeitliche Urmeer in seiner, mangels kultureller Prägung nur noch übernatürlich zu nennenden Güte einst hinterließ. Und das Ergebnis sich dann so vielfältig und harmonisch in den nationalen Charakter deutscher Landschaftsästhetik einfügt, obwohl doch wohl eher eintönigem Kalkschlamm eines lange vergangenen, ausgetrockneten, unwiderbringlich zerstörten, für immer verschwundenen Lebensraumes entspringend, 70 Millionen minus 145 Jahre vor der Ankunft von C.D.F., dem bekannten Ikonenmaler, im Land unserer, also auch seiner verewigten Vorfahren mit ihren mächtigen Hünengräbern und (slawischen) Burgwällen sowie mittelalterlichen Dorfkirchen, die urwaldartige Insel inmitten der als wohl exemplarisch für die Biosphäre reservierten Kulturlandschaft nicht zu vergessen, und dann auch noch mit garantiert echten alten Fischerhäusern und dem Säulentheater samt Circus, Orangerie und Rosenbäumchen im ebenfalls kreideweißen, Wilhelm-Maltinischen Städtchen Putbus. |
|
|
|
|
|
Ich würde, nach angemessener innerer Einkehr — und ganz ohne äußere, ich schwör’ — mit Weitsicht und atemberaubendem Fernweh meiner, vor lauter begriffszusammenhänglich-spiel-satz-und-siegbau-berauschter, ungeziemlicher kultureller Freiheit gleich nach Luft schnappenden Seele, kaum zögern, das alles zusammen ein echtes Wunder der Natur zu nennen. |
|
Wessen waren die Wunder üblicherweise in der Kulturgeschichte? Wieviel bleibt von einem Wunder, wenn es mit naturwissenschaftlicher Methodik beschreibbar, somit in seinen Abläufen erklärbar und berechenbar, also vorhersagbar und im Modell reproduzierbar wird? (Möglicherweise gar nicht so wenig, in der populären, wie elitären Vorstellungswelt, so mein Eindruck.) |
|
Licht, Schatten, Höhe, Tiefe, Seele, Einheit, Ewigkeit, Berührung Oder: Imaginäres Rollenspiel: wenn, dann richtig! |
|
Wer sich auf so viel heitere Dekonstruktion erst einmal eine Dosis echter Romantik zu Gemüte führen möchte, vielleicht auch, um sich, nach Halt suchend, noch noch einmal ihrer originären Kraft und Schönheit zu vergewissern, dem empfehle ich Detlev von Liliencron, 1883, in der kongenialen Vertonung von Achim Reichel, auf dessen Regenballade von 1978:
Rungholt
ist reich und wird immer reicher, |
|
||
|
|
Auf
allen Märkten, auf allen Gassen
Die
Wasser ebben, die Vögel ruhen,
Und
überall Friede, im Meer, in den Landen. Aus: Detlev von Liliencron (1844–1909) Trutz, Blanke Hans (1883). In: Derselbe, Ausgewählte Werke, herausgegeben von Hans Stern, Hamburg, 1964, S. 209–211. Zitiert nach Wikisource, 2022. |
|
|
|
|
|
Beachte, dass das historische Rungholt bei der Zweiten Marcellusflut 1362 unterging, also gut 500 Jahre vor Liliencron’s Dichtung und nicht gut 600 Jahre, wie vor Stern’s Ausgabe und Reichel’s Vertonung. Ich tippe auf romantisch-pädagogisch-deutsche Angewohnheit, den Zeitgenossen das Werk ganz nahe bringen zu wollen und so. Und Liliencron’s Vergleich vom bestenfalls regionalen Handelsplatz Rungholt mit dem antiken Rom ist grotesk, aber atmosphärisch schön. |
|
|
|
|
|
Falls bei irgendwem angesichts der Vorstellung wohlhabender, buntgeschmückter Syrer und Mohren jetzt die (Neo-)Rassismus-Alarmglocken schrillen, beachte, dass ‚Mohr‘ zu Liliencrons Zeit eine durchaus neutrale Bezeichnung sein konnte, von altersher von den nordafrikanischen Mauren abgeleitet — es gab sogar schwarze Madonnen im alten Reich, lese ich gerade — und sie in der Ballade am Ende alle gemeinsam untergehen, übermütige Nordland-Leute und weitgereiste, durch Transport per Sänfte vorzüglich geehrte, exotische Handelspartner. Und, dass das anzunehmende Völkergemisch auf den Straßen des Mittelpunktes der römischen Antike hier offensichtlich als Sinnbild für phantastischen Reichtum dient. Was für ein diverser Ort, da im mythischen 14. Jahrhundert, am Nordwestzipfel des Heiligen Römischen Reiches bzw. in der Südostecke der Dänemark. Und ich finde es schön, wie Reichel die Zeilen betont, in einer Zeit, als Leute „mit Goldblech und Flitter in Nasen und Ohren“ in seiner Gesellschaft zwar immer noch ziemlich bestaunt, häufig auch übel beleumundet waren, aber kulturgeschichtlich eindeutig auf Seiten der ganz coolen Trendsetter standen. Großartig auch die Glam-Rock-Anklänge im musikalischen Arrangement. Ach so, und Liliencron beschreibt seine Eindrücke von einer Dampferfahrt aus, ist sowieso in der Hochzeit der Industrialisierung unterwegs und wird als nicht gerade weltabgewandter Mann ja wohl kaum ein radikal rückwärtsgewandtes Ideal von „Zurück zur Natur und kein Fernhandel mehr, jedenfalls nicht mit Nordafrikanern“ hochhalten, den im Artikel erwähnten Kulturpessimismus hin oder her, als moralische Botschaft aus dem Schicksal der armen ertrunkenen, protzigen Rungholter. (Wenn man denn schon so drauf ist, überall nach moralischen Botschaften zu fahnden, die möglicherweise nicht ganz auf Parteilinie sind.) Ich hab auch nie begriffen, was die Krallen am Kraken machen, wohl aber schon als Kind, dass eine bestimmte Art von Gruselgefühl nicht zwingend weggeht, wenn man ihr die vordergründig rationale Basis entzieht. Und, dass so ein Gefühl auf eigentümliche Weise angenehm sein kann, indifferent gegenüber der möglichen Pietät für das zwar mythisch überhöhte, aber durchaus auf historischer Realität fußende Leiden und Sterben in der Erzählung. Mächtig düster-tragisch-wärmend-drängend-schön oder so ist auch Een Boot is noch Buten. Es könnte theoretisch sogar ins alte Sassnitz passen, gerade mit dem dräuenden (drängend drohenden) Möwenstein, die Dünen mal beiseite gelassen. (Wären an der Schaabe, weiter drinnen in der Prorer Wiek oder auf Hiddensee zu finden.) |
|
Merkt ihr, wie das Nachdenken über diese Frage die Aufmerksamkeit fesselt und die Farbe aus dem Rest saugt, an der Schönheit der Worte nagt und, wie man es dreht und wendet, ein ungutes, unfreies Gefühl macht, zunehmende Enge im Herzen und Nebel im Kopf, hinter dem das Eigentliche, was man wollte, verschwindet? Wie es selbst die Kraft der Romantischen Lyrik angreift, ablenkt hin auf etwas, das zu der beflissenen Haltung eines sowjetischen Politkommissars passen würde? Mich hat es in meinem eigenen Text, dessen weitere Kapitel bis hinters achte längst geschrieben waren, in die Defensive gebracht. Und alles nur, weil ich die Strophe mit den Unbenennbaren hineingenommen habe, auch noch an erster Stelle und das R-Wort als implizite Frage darunter gestellt. Es funktioniert wie böse linguistische Polit-Magie. Schnell noch was Romantisches drauf:
Im
Schiff vorn der Ritter, Aus: Detlev v. Liliencron, Pidder Lüng. In: Ders., Nebel und Sonne. Der Gesammelten Gedichte dritter Band. 3. Aufl. Berlin und Leipzig, 1902, S. 19–22. Zit. n. Wikisource, 2022. |
|
|
|
Und
ernster keuchte die braune Schaar
Am
Ufer dräute der Möwenstein, Aus: Arno Holz (1863–1923) Een Boot is noch buten! In: Buch der Zeit. Lieder eines Modernen. [sic!] (Kapitel Arme Lieder.) Zürich 1886, S. 88. (Vgl. im Deutschen Textarchiv.) |
|
||
|
|
Wo ich es noch einmal lese und doch noch einfüge, denke ich, innerlich kopfschüttelnd und vielleicht ein wenig überheblich (und gewiss nicht an alle im Lesepublikum adressiert): Leute, eure heutige, mahnend-gefühlige Kitschprosa mit Weltveränderungsanspruch könnt ihr in die Tonne treten, gegen das, was die angeblich so zurückgebliebenen, veralteten, in zutiefst ungerechten Verhältnissen und schrecklichen Vorurteilen gefangenen Dichter, die, wenn man euren Rezepten folgte, aus den Schulbüchern und so weiter hinausgesäubert gehörten, vor hundertzwanzig, hundertvierzig Jahren ausdrücken konnten, wenn sie einen guten Tag hatten. Übrigens, Arno Holz war auch so einer mit einer lustigen Vornamenssammlung. Es ist so leicht zu spotten, und so schön zugleich, wenn man ein bisschen was versteht, endlich. Hier noch einmal der Vergleich mit dem Ausgangspunkt dieser Betrachtungen: NATUR ERLEBEN […] Wir brauchen die Natur. Als Lebensgrundlage, als Rückzugsort, als Quelle der Regeneration, heute mehr denn je. Wir brauchen ihren Schutz. Wenn es regnet, ist es das grüne Dach des Buchenwaldes auf Jasmund, das uns vor den Tropfen schützt, die ihr Konzert auf die Blätter trommeln. Wenn der Wind tost, ist es der Stamm eine der alten Eichen des Putbuser Schlossparks, deren zerfurchter Stamm uns Zuflucht gewährt. Aus: https://www.ruegen.de/aktiv-und-natur/30-jahre-schutzgebiete, Transkript ohne Bilder und Links, mit Hervorhebung wie im Original, 9.3.2021. Und: Hier wechselt ungebändigtes Tosen der Ostsee mit dem Klang der Stille ausgedehnter Lagunen, den so genannten Bodden. Mit ungebremster Energie ringt das Meer den Westküsten Sand ab, den die Strömung ostwärts bewegt und damit junges Land nährt […] […] Im nackten Sand der Dünen keimen Kiefern und bereiten den Weg für Buchenwälder. Aus: https://www.ruegen.de/aktiv-und-natur/vorpommersche-boddenlandschaft, Transkript, 9.3.2021. Ich bin ein bisschen gemein, aber es sollte den Kontrast von kulturgeschichtlichem Original und darauf bezogenem Simulacrum anschaulich machen. Man könnte das auch mit einem populär-naturkundlichen Text aus der Zeit machen. Aber ich finde gerade den poetisch-expressiven Aspekt interessanter. Immerhin geht es bei ruegen.de um Aufmerksamkeit und Genuss, oder nicht? Hier noch etwas Eingehenderes zum Verständnis von Simulacrum, wobei ich mir die Freiheit nehme, es ziemlich aus dem Zusammenhang zu reißen und diesen auch nicht weiter zu erklären: |
← |
Nicht, dass ich es in meiner Schulzeit hätte verstehen können, jedenfalls nicht ohne Achim Reichel, der aber natürlich nicht im Unterricht vorkam, vermutlich weil U-Musik, Niederungen der Popkultur, nicht zum gymnasialen Anspruch passend, auch nicht einem ziemlich liberalen, mit viel Raum für linke Konzepte. (Oder gerade wegen der letzteren?) In freundlichem Angedenken an den damals als ziemlich uncool angesehenen Musiklehrer, der irgendwann in der Oberstufe mit einer Projektwoche zu Reggae herauskam und es schaffte, ein intuitiv begreifbares Beispiel für „Nimm es für wahr, aber nicht zu ernst“ zu geben. (Vgl. Kap. 5.) Und die Kunstreferendarin, die mich einmal, als ich versuchte, die als enttäuschend wahrgenommene Diskrepanz zwischen dem blind erlangten haptischen Eindruck und dem nachträglichen visuellen auszudrücken, bei einer außerordentlich experimentellen Unterrichtseinheit in der Kunsthalle, zu der es mich heute noch wundert, dass so etwas überhaupt ging, mit dem Satz zurechtwies: „Maillol hat keinen Kitsch gemacht!“ Und wie sie damit Recht hatte, verdammt nochmal! Hat er nicht. Die, gegen die er sich damit aufgelehnt hat, die haben. Und sich darin gesuhlt, wie in einem schlammigen, alles mit sich reißenden Strom. Sie hat es mich fühlen lassen. Ich werde ihr das nie vergessen. |
|
Das Sein des Anscheins |
|
Such
would be the successive phases of the image: In the first case, the image is a good appearance - representation is of the sacramental order. In the second, it is an evil appearance - it is of the order of maleficence. In the third, it plays at being an appearance - it is of the order of sorcery. In the fourth, it is no longer of the order of appearances, but of simulation. [end of citation 1] If once we were able to view the Borges fable in which the cartographers of the Empire draw up a map so detailed that it ends up covering the territory exactly (the decline of the Empire witnesses the fraying of this map, little by little, and its fall into ruins, though some shreds are still discernible in the deserts – the metaphysical beauty of this ruined abstraction testifying to a pride equal to the Empire and rotting like a carcass, returning to the substance of the soil, a bit as the double ends by being confused with the real through aging) – as the most beautiful allegory of simulation, this fable has now come full circle for us, and possesses nothing but the discrete charm of second-order simulacra. [footnote 1: “Cf. J. Baudrillard, “L'ordre des simulacres” (The order of simulacra), in L'echange symbolique et la mort (Symbolic exchange and death) (Paris: Gallimard, 1976).”] Today abstraction is no longer that of the map, the double, the mirror, or the concept. Simulation is no longer that of a territory, a referential being, or a substance. It is the generation by models of a real without origin or reality: a hyperreal. The territory no longer precedes the map, nor does it survive it. It is nevertheless the map that precedes the territory - precession of simulacra - that engenders the territory, and if one must return to the fable, today it is the territory whose shreds slowly rot across the extent of the map. It is the real, and not the map, whose vestiges persist here and there in the deserts that are no longer those of the Empire, but ours. The desert of the real itself. [end of citation 2] Jean Baudrillard (1929–2007) - Simulacra and Simulations - I. The Precession of Simulacra. Translated by Sheila Faria Glaser, The European Graduate School, nach 6.3.2007. Zitiert nach web.archive.org, 29.7.2010 (15.6.2022). Das zweite Zitat ist vom Anfang des Artikels, das erste aus dem nachfolgenden Kapitel “The Divine Irreference of Images.” [‘Irreference’ könnte den Nicht-Bezug, die Nicht-Referenz, den Nicht-Hinweis oder Nicht-Verweis meinen] Meine Weiterübersetzung: |
|
|
|
|
|
Derart
wären die sukzessiven [aufeinanderfolgenden] Phasen der
Abbildung [des Ebenbildes]: |
|||
|
|
Im ersten Fall ist das Abbild eine gute Erscheinung [ein guter Anschein] – Repräsentation [Darstellung; Stellvertretung; Verkörperung] ist von der sakramentalen [auf heilige Gegenstände bezogenen] Ordnung [dem sakramentalen System zugehörig]. Im zweiten ist es ein schlechter [böser] Anschein – es ist vom System der Bösartigkeit. Im dritten spielt es am Sein einer Erscheinung [stellt das Sein einer Erscheinung dar] – es ist vom System [aus dem Orden] der Zauberei [der Hexerei]. Im vierten ist es nicht mehr vom System der Erscheinungen, sondern der Simulation [Nachahmung; Nachbildung; Vortäuschung]. [Ende Zitat 1] Wenn wir einst fähig waren, die Borges-Fabel, in welcher die Kartographen des Reiches eine Karte aufzeichnen, so detailliert dass sie am Ende das Territorium exakt abdeckt, (der Niedergang des Reiches bezeugt das ausfransen dieser Karte, Stück um Stück, und ihren [seinen?] Verfall in Ruinen, obwohl einige Fetzen noch erkennbar sind in den Einöden – die metaphysische Schönheit dieser ruinierten Abstraktion bezeugend zu einem Stolz gleichauf mit dem Reich und verrottend wie ein Kadaver, zurückkehrend zur Substanz des Bodens, ein wenig wie das Ebenbild endet durch verwechselt werden mit dem Wirklichen durch Alterung) – als die schönste Allegorie für Simulation anzusehen, hat diese Fabel nun vollends einen Kreis beschritten für uns und bietet nichts als als den diskreten Charme von Simulacra zweiter Ordnung. [Fußnote 1: Cf. J. Baudrillard, “L'ordre des simulacres” (Die Ordnung von Simulacren), in L'echange symbolique et la mort (Symbolischer Austausch und Tod) (Paris: Gallimard, 1976]. Heute ist Abstraktion nicht länger die der Karte, des Ebenbildes, des Spiegels oder des Begriffes [der Vorstellung]. Simulation ist nicht mehr die eines Territoriums [eines Bereiches], eines referentiellen [in Beziehung stehenden] Wesens [Seins] oder einer Substanz [eines Inhaltes; eines Wesentlichen]. Es ist die Schaffung [Bildung] aus Vorlagen [Modellen] eines echten [wahren] ohne Ursprung [Ausgangspunkt] oder Wirklichkeit: eines hyperrealen [Über-Wirklichen]. Das Territorium geht nicht mehr der Karte voraus, noch überlebt [übersteht] es sie. Es ist dennoch die Karte die dem Territorium vorausgeht – Präzession [Kreiselbewegung; Umlaufbewegung einer Drehachse] von Simulacren – die das Territorium erzeugt [hervorruft; verursacht] und wenn jemand auf die Fabel zurück kommen muss, ist es heute das Territorium dessen Fetzen langsam verfallen [verrotten; verfaulen] über die Ausdehnung der Karte. Es ist das Echte [das Wirkliche] und nicht die Karte, dessen Spuren [Überreste] hier und dort persistieren [bestehen bleiben] in den Wüsten [Einöden] die nicht mehr jene des Reiches sind, sondern unsere [sic!]. Die Einöde des Echten [Wahren; Wirklichen; Eigentlichen] selbst. [Ende Zitat 2] Dem Abschnitt mit dem zweiten Zitat ist ganz zu Anfang des Aufsatzes der folgende Satz in der Form eines Zitates vorangestellt [Hervorhebung wie im Original]: |
|
|
|
|
|
The
simulacrum is never what hides the truth -
it is truth that hides the fact that there is none. |
|||
|
|
Und
da ist der Abgrund, die Klippe: Genau vor uns. Angelegt — oder beobachtet? — Grrr! — schon vor über 2.200 Jahren, möglicherweise. ‚Ecclesiastes‘ ist eine recht spezifische Bezeichnung für das Buch Kohelet; der Prediger im Alten Testament. Das Zitat, welches Baudrillard seinem Text voranstellt ist darin — und ich gebe hier die (plausible) Aussage von anderen wieder — so nicht zu finden. Das Buch lässt sich auf sehr unterschiedliche Art übersetzen und deuten, es gibt diverse Fassungen. Zu finden ist beispielsweise das hier: And I gave my heart to know wisdom, and to know madness and folly: I perceived that this also is vexation of spirit. The King James Bible, Oxford, 1769, Ecclesiastes 1:17.
vexation:
Ärgernis; Beunruhigung; Plackerei; Verdruss Und ich gab mein Herz um Weisheit zu erkennen und zu erkennen Wahnsinn und Torheit: Ich erkannte, dass dieses auch ein Geistes-Ärgernis ist. In einer revidierten Fassung der Luther-Bibel von 2017 wird es, vermutlich im Vergleich diverser älterer Quellen mit der Fassung von 1534 sowie der Tradition ihrer Bearbeitung, so übersetzt: Und ich richtete mein Herz darauf, dass ich lernte Weisheit und erkennte Tollheit und Torheit. Ich ward aber gewahr, dass auch dies ein Haschen nach Wind ist. Meine Übersetzung des Baudrillat-Ecclesiastes Verses: |
|
|
|
|
|
Das
Simulacrum ist niemals was die Wahrheit verbirgt – es ist
Wahrheit, die das Faktum verbirgt, dass
da
keine ist. |
|||
|
|
Wenn ich nochmal, in eindeutig geneigter, schon ein bisschen den Sand nachgeben fühlender, haltsuchender Absicht zugegeben, weiter umformulieren dürfte: |
|
|
|
|
|
Am
Simulacrum liegt es nicht, dass da keine Wirklichkeit zu erkennen
ist – es ist die Wahrheit über die Wirklichkeit, welche die
Tatsache verbirgt, dass sie selbst nicht existiert. |
|||
|
|
Wenn Sie mir bis hierhin folgen konnten und mochten — was mich sehr freuen würde — warten Sie kurz, ehe Sie ernsthaft ans Springen denken, dem Sirenengesang der vorgetragenen Erkenntnis aus höherem Munde — ein echter, weithin anerkannter Experte, eine Geistesgröße, feierlich wiedergegeben auf der Webseite einer sehr elitären Privatschule höherer Bildung — oder dem Sog der Wortmelodie des Originals folgend, mit dem Anklang an biblische Worte mitsamt ihrer Heiligkeit. Ich denke nämlich, wir müssen da nicht runter, denn ich hab noch Fragen an den Herrn Baudrillard: Wenn die Wahrheit über die Wirklichkeit nicht existiert, wie kann die Aussage, dass da keine Wahrheit ist, selber eine Tatsache, also wahre Gegebenheit sein? Und wenn das Simulacrum echt, also Teil der wirklichen Welt ist; zur Wirklichkeit zählt, wie kann dann die entsprechende Wahrheit darüber erkannt und von den nicht der Wahrheit entsprechenden anderen Geschichten über die Wirklichkeit — z.B. Aussagen wie: „Ein Simulacrum versucht die Wahrheit über sein Wesen zu verbergen. Es ist eine Fälschung eines imaginierten Originals.“ — unterschieden werden? Wenn das Simulacrum aber nicht von einer falschen Erzählung über die Wirklichkeit unterschieden werden kann, existiert es dann überhaupt als sinnvoll unterscheidbare Kategorie des Wissens; der Begrifflichkeit; des Bewusstseins? Und wenn die Wirklichkeit — deren Existenz oder Nicht-Existenz einmal dahingestellt sei — wie Baudrillard-Ecclesiastes konstatiert, in Wahrheit nicht erkannt werden kann, wie können dann Begriffs-Kategorien der Sprache über die Wirklichkeit irgendeine Bedeutung haben, die von Bla zu unterscheiden ist? Ich meine: wenn diese Kategorien der Sprache — Begriffe — immer noch gut genug sind, dass sich Menschen mit ihre Hilfe besser verständigen können als wenn sie sich einfach nur beliebiges Zeug sagen — „Bla?“ „Blabla.“ „Blabla?“ „Blablablablabla!“ beispielsweise — und ich meine besser im Sinne von etwas von Bedeutung gemeinsam erreichen — philosophische Fragen zu diskutieren etwa oder Essen herzustellen — sind sie dann nicht wenigstens etwas; ein wenig näher an der Wirklichkeit — wahrer also — als das beliebige Zeug, auch wenn es eleganter klingt als ‚Blabla‘? Und wenn es also überprüfbar wahrere Aussagen über die Wirklichkeit gibt als andere, wie kann dann eine phantastische Kopie von etwas, das nicht oder nicht mehr existiert eher oder mehr wahr genannt werden als eine Vorlage; ein Muster; ein Echtes, an das sich die erkennbare Bedeutung; Anmutung; der Anklang des Simulacrums anlehnt? Oder ist nur der schlichte Umstand gemeint, dass etwas, was sinnvoll ‚Simulacrum‘ genannt, also von all den anderen ‚Nicht-Simulacra‘ unterschieden werden kann, als solches existiert und betrachtet; begriffen; verstanden werden kann? Hm. Vielleicht ja doch eher nur so eine Scheinriesen-Klippe da vor uns, schon wieder ein bisschen entfernt und verblassend … Der Mensch Jean Baudrillard hat existiert, das glaube ich und ich glaube auch, dass er mal hungrig war und hin und wieder auf’s Klo musste. Hat er die Wahrheit darüber erkennen können, oder war sein Essen und das, was sein Körper vermutlich ähnlich routiniert wie meiner ausgeschieden hat, ein Simulacrum? Ist das Boot, in dem ich gerade sitze, wo ich das hier schreibe und ist das nächtliche Krächzen und Jauchzen der Möwen draußen ein Simulacrum? Das Boot ist, der Überlieferung des dazu gehörigen Messbriefes nach, die 2077. ordentliche Kopie eines Serienbau-Urbootes, mit gewissen Abwandlungen, und ich vermute, dass die Möwenschreie auch nicht nur reflexhaft erfolgen, sondern Traditionen folgen und im konkreten Fall des häufigeren die imitierende Antwort auf die Schreie anderer Möwen sind. Wenn da eine Möwe nur so für sich schreit, als ob sie anderen antworten würde, erzeugt sie dann ein Original oder ein Simulacrum? Das Boot wurde in seiner Geschichte so verändert, dass es zwar immer noch weitgehend, aber eben nicht mehr genau mit dem Urentwurf oder auch nur sich selbst vor 48 Jahren übereinstimmt. Ein zweites, welches genau so ist wie dieses, existiert nicht, sehr wahrscheinlich. Ist es dann ein Original, eine Kopie (also Simulation eines Originals) oder ein Simulacrum (die Simulation von etwas das nicht existiert)? Übrigens, die Bauform von der sein Rumpf abgeformt wurde, genauer die beiden Bauformen seiner zusammenlaminierten Rumpfhälften existiert bzw. existieren auch nicht mehr, genauso wie die anderen Kopien der allerersten, originalen, nach den Originalplänen des Originalentwurfes von 1966 angefertigten Bauformen der IF-Boote, wie mir jemand sagte, der sehr genau nachgeforscht hat. Ist da keine Ostsee mehr, bzw. keine Wahrheit in der Aussage, dass da hinter der Mole, an der das Boot liegt, die Ostsee ist, wenn ich sie zu einem Simulacrum erkläre, weil sie nicht (mehr) das ist, was ich mir darunter vorstelle, was ich und die (der vermutlich) von denen (dem) ich das Wort aufgeschnappt, imitiert und mit Bedeutung verknüpft habe und was sich in jedem Moment verändert, verändert wird, also weiter von (genau) dem entfernt, was einmal Ostsee oder Baltisches Meer, Mare Balticum, Baltské moře oder sonstwie genannt wurde? Ich bezweifele das. Und die Möwen kriegen sich gerade gar nicht mehr ein vor Lachen, glaube ich, über das spärlich, aber immerhin behaarte Säugetier da in seiner Kajüte, mit dem großen Kopf und den vielen Worten … |
|
|
|
Die Repräsentanz des Echten |
Wem nach Lesen der Spuren dieser imaginären Diskussion am Rande der mit Begriffen fassbaren Welt und den zitierten Textfragmenten nun erneut ein bisschen haltlos zumute ist; wer auf diesen kleinen Live-Action-Role-Play-Ausflug ins Herz der Postmoderne doch lieber nochmal sein Verhältnis zur Moderne überdenken möchte und auf der vielleicht etwas erschrockenen Suche nach wirklich spürbarem Halt; etwas solidem, das für ein wenig Weisheit dahingegebene Herz ansprechende, besser gleich über die Moderne hinaus springen und wieder in die gute alte Romantik zurückgehen möchte; kurz: wer jetzt einfach was kräftiges, herzhaftes braucht in den geistigen Magen, dem lege ich hiermit nahe und geradezu in den Weg sogleich in die Vollen zu gehen — moralische Erbauung, existentieller Kampf, Mann gegen Natur — und sich dem nüchternen, ehrbaren Seenotrettungswerk zuzuwenden — ohne allzu viel über die kaum noch zu übersehende Mehrfachbedeutung von ‚Seenotrettung‘ nachzudenken, wie ich es in einer wieder verworfenen Fassung dieses Abschnittes getan habe, mehr so im Sinne des SRK HARRO KOEBKE, der 5 kbl von hier an der Westmole liegt — wenn sie da noch liegt und es wirklich die geschätzten 5 Kabellängen [1 kbl = 0,1 sm = 185,2 m] und nicht 4 oder 6 oder gar nur 3 sind, was mit den Piers dazwischen nicht so gut zu schätzen ist, wenn man zu faul ist, in der Detailkarte nachzusehen ob diese nicht doch ein Simu… Waff! Grrr! — und zwar mit der verstärkten Kraft amerikanisch inspirierter E‑Maschinen bzw. Gitarren, Schlagzeug und so weiter, alles was man braucht, wenn man richtig aufdrehen will, musikalisch, so dass man endlich, endlich (wieder) etwas fühlen kann, mit Substanz, geistiger: Noch einmal Achim Reichel, Regenballade, 1978, Nis Randers, alleine schon des expressiven Anfangs willen, der hier schon stand bevor sich Herr Baudrillard eingemischt hat. (Könnte man für etwas von 1901 schon ‚expressionistisch‘ sagen?) Für mein Gefühl jedenfalls dürfte die atmosphärische Dichte und Spannung des Kopfkinos und Stimmungsbades welches das Gedicht zu erzeugen und in rascher Folge zu erneuern vermag — nicht unähnlich einer Serie brechender Grundseen — auch mit filmischen Mitteln nur schwer zu übertreffen sein (und bestimmt nicht in digitaler Animation). Komm mit Jean, es geht raus an den Strand, in eine sehr windige Nacht, auflandiger Sturm an einer ungeschützten Küste. Es könnte an einer der auf Geestkernen angelagerten Sandinseln Nordfrieslands sein, Seeseite und darüber dichte, in der Dunkelheit nur schemenhaft zu erahnende Gewitterhaufen-Regenwolkenbedeckung — als ‚Cb‘ mit schwarz ausgefülltem Vollkreis im Logbuch zu vermerken — durch alle Wolkenstockwerke bis hoch an die Tropopause, mit womöglich noch weit in die Höhen darüber reichenden Entladungen der auf immer noch nicht genau bekannter Weise umgefornten, gestauten und wieder abgegebenen Energie von Abermilliarden in Auf- und Abwinden mitgerissener Wassertröpchen und Graupel-Eiskörnern, großräumigen Differenzen atmosphärischen Druckes, von den Strahlstrom-Starkwindfeldern in der oberen Troposphäre gelenkt, folgend, in dichten Staffeln seit vielen Stunden wohl, weit von Westen her, vielleicht schon von irgendwo westlich Schottlands über die Nordsee verlagert, gezogen, geschoben zum Verhängnis einer Schiffsbesatzung, die es möglicherweise nicht mehr weit gehabt hätte in eines der Seegatten mit dem ruhigeren Wasser und endlich schützenden Hafen oder Ankerplatz nicht weit dahinter, an den Ort der in satten Strichen, mit knappen Worten zu einem dramatischen Urbild der Moderne verdichtet gezeichneten Handlung: |
|
⤒nach
oben |
||
|
|
Krachen
und Heulen und berstende Nacht,
Und
brennt der Himmel, so sieht man’s gut:
Nis
Randers lugt — und ohne Hast
Da
faßt ihn die Mutter: „Du steigst mir nicht ein:
Dein
Vater ging unter und Momme, mein Sohn;
Nis
tritt auf die Brücke. Die Mutter ihm nach!
Nun
springt er ins Boot und mit ihm noch sechs:
Boot
oben, Boot unten, ein Höllentanz!
Mit
feurigen Geißeln peitscht das Meer
Wie
hechelnde Hast sie zusammenzwingt!
Drei
Wetter zusammen! Nun brennt die Welt! Aus: Otto Ernst (1862–1926), Nis Randers (1901). In: Ders., Siebzig Gedichte, Leipzig, 1907, S. 118–119. Zit. n. Wikisource, 2022. Vgl. die Typographie des Originals im Scan-Abbild auf Wikimedia Commons. |
|
Es ist ein interessantes Experiment, zu versuchen, dieses Gedicht ironisch zu brechen, zu verreißen, ohne die Worte und ihre Anordnung, Interpunktion auch, zu verändern, durch übertrieben dramatische oder unterkühlte Sprechweise etwa, bewusste Assoziation mit Kitsch, eine ironisch distanzierte Haltung, Zynismus oder so. Mir gelingt es nicht gut, auch wenn die Erzählung von dem Gedicht; das Narrativ des Gedichtes leicht zu verkitschen ist, nach meiner Beobachtung. Aber ich habe auch Scheu, da mit voller Kraft und Konsequenz hineinzugehen, gerade in die zynische Richtung. Schließlich will ich mein Mitgefühl noch behalten, in lebendig. |
|
|
|
Ich wollte das eigentlich kürzer halten, aber es ist großartig, gerade auch aus der Sicht eines Sportschiffers der selber mal ein schweres Holzboot gepullt hat und nicht nur, wenn die Lust mal danach war. Durch die Sturmbrandung wären wir nicht gekommen. Wir waren ja schon stolz, dass wir einmal bei 6–7 ein Seegat im inneren Bereich aufgekreuzt hatten, gerefft wie nur ging, dann noch den Großen geschmissen und ein Hilfs-Trysegel improvisiert, um Fahrt ins Schiff zu kriegen ohne zu kentern, bis zum nächsten, endlich schützenden Wattfahrwasser. Die Ruderrettungsboote vor 120 Jahren waren übrigens ganz ähnlich (hilfs)besegelt wie das, mit dem wir unterwegs waren. |
|
Hier ist noch was für die Katz’ (und ich habe keine Ahnung ob Jean nicht eher Hunden zugetan war oder von den ganzen niederen Tieren überhaupt irgendwas hielt): OwlKitty, Kitty Cat in the Matrix. Do you want to know what it is ? A meowing four-legged rosy-tongued postmodern-plot killer in extravagant black fur, irreverent by nature. |
|
Seenotrettung
|
|
Ich glaube, heute machen sich nur noch wenige eine Vorstellung davon, was Seenotrettung vor der Entwicklung bootstauglicher leistungsfähiger Dieselmotoren hiess. Und was vor der Zeit der Romantik mit ihren moralisierenden Aufrufen an das (nunmehr als geschichtlich-mythologisch verwurzelte Einheit imaginierte) Volk mit den Schiffbrüchigen war, insbesonderer in den Sänden der Nordseeküste. Und wie schwer es ist, mit einem Rahsegler, wie sie damals noch üblich waren, gerade in der Transozeanschifffahrt, auf begrenztem Raum Weg nach Luv gut zu machen, oder auch wirklich genaue Koppelnavigation hinzubekommen, bei Scheißwetter, schlechter Sicht, rauher See, Strom, all das, wenn’s wirklich darauf ankommt, ohne die ganzen modernen Navigationshilfen. Ich weiß noch ein bisschen was von der Zeit vor Navstar-GPS, wo auch Decca, Loran und Funkpeilung oder Radar lange nicht üblich waren auf Segelyachten, geschweige denn auf kleinen Booten, aber fast nur bei geradezu beschaulichen Bedingungen, ausgezeichnet betonnten Fahrwassern usw.. Die Leichtigkeit und der oberflächliche Umgang mit GPS, der mit den Smartphones kam, kommt mir immer noch etwas obszön vor. Und die Seefahrer vor den immer noch vergleichsweise gut kreuzenden neuzeitlichen Schiffstypen, zur Blütezeit der Hanse etwa, müssen einen Todesmut sondergleichen gehabt haben, oder wirkliches Gottvertrauen, ganz wirkliches, unbedingter Art und Ergebenheit. „Herr, segne unseren Strand“ sollen die armen Einheimischen auf den Inseln früher einmal gebetet haben. Spendet gelegentlich mal an die DGzRS, die als privater Verein nur deswegen kein e.V. im Namen trägt, weil sie älter ist, als das deutsche Vereinsrecht. Im Westen haben sie eine ungebrochene Geschichte seit den ersten Aufrufen eines Navigationslehrers und eines Rechtsanwaltes 1860, im Osten war es zwischenzeitlich staatlich organisiert. Die Motorisierung der Flotte begann 1911 — die Dampfmaschinen vorher waren zu langsam aufzuheizen und in kleinen Booten zu anfällig — und sie haben auch im Krieg weiter gemacht, für Freund und Feind. Seit Einsparung der staatlichen bzw. privatisierten Küstenfunkstationen bis Ende 1998 machen sie auch den Not- und Dringlichkeits-Funkverkehr auf UKW, mit eigenen Stationen. Ein Großteil ihrer Einsätze betrifft heutzutage Hilfeleistungen für Sportboote und ich vermute, dass nicht ganz wenige davon mit etwas mehr Umsicht, Wissen, Übung der Mannschaft und besserer Instandhaltung des Spielzeugs vermeidbar wären, ohne groß auf Freizeit- oder semiprofessionellen Spaß verzichten zu müssen. Wir dürfen rausfahren wie wir lustig sind, sie müssen raus, nach dem selbstgesteckten Anspruch, auch wenn’s überhaupt nicht mehr lustig ist, soweit es ihre Schiffe halten und manchmal auch darüber hinaus. |
|
|
|
|
|
„Der Mensch kann heute praktisch alles erreichen was er will. Wenn wir uns darauf verständigen die entsprechenden Ressourcen einzusetzen, können wir alles was wir uns vornehmen“ hat mir und anderen mal ein marxistisch inspirierter Dozent an der Uni gesagt, sinngemäß. Das ist Unsinn, oder vielmehr: durchaus sinnig zu behaupten, wenn man Menschen dazu bringen will, einem zu folgen, aber es stimmt nicht und die Seefahrt ist ein Bereich, in dem man die in der Absolutheit seiner suggestiven Verkürzung angelegte Klippe relativ eindrücklich vor Augen geführt bekommen kann, vor allem, wenn man selber etwas zu entscheiden, vielleicht auch andere zu führen hat. Früher konnten wir weniger, das ist wahr. Heute sind wir in der merkwürdigen Lage, uns einerseits immer wieder zu erzählen, dass das, was so schnell möglich wurde gar nicht gut war, technische Hybris darstellte und Demut angesichts der Macht der verbleibenden, unkontrollierbaren Natur angezeigt sei und andererseits implizit zu glauben, dass es möglich und geboten sei alles wieder ins Lot zu bringen, die Menschheit zu befreien und „die Erde zu heilen“ innerhalb kürzester Zeit unsere Lebensweise in den technisch-organisatorischen Grundlagen zu verändern und dennoch ein gutes Leben zu führen. Beachte die schon in den üblichen Begriffen und Redeweisen angelegte Wieder-Mythologisierung und vor allem die eigentlich atemberaubende Entgrenzung, die einem heute so leicht über die Lippen geht, vermutlich weil es so häufig und beiläufig wiederholt wird. Hybris solcher Art bekommt zustimmendes Nicken und besorgten Beistand aus dem Narrativ-Teile-Sammelkasten. Der „neue Mensch“ für ein ganz neues Zeitalter jenseits der „unausweichlichen disruptiven Veränderungen“ ist darin, nur noch wenig verhüllt, schon angelegt. (Gibt es außer mir denn keinen, dem sich bei disruptiv im Zusammenhang mit Mensch für einen Moment das Herz verkrampft, vor allem, wenn diese Worte als Ankündigung aus mächtigem Mund kommen?) |
|
|
|
|
|
Was die See wohl mit ihm, dem neuen, unterbrochenen, gebrochenen und neu zusammengesetzten Menschen machen wird, wenn er sich ihr anvertraut? Wird er, mangels intimer Kenntnis und mit auseinandergenommenem Erkenntnisapparat, samt altbewährten Selbstbewusstseinsstützen, überhaupt noch irgendetwas, irgendwem auch vertrauen können? Aber vielleicht soll er genau das ja dann auch nicht mehr, nicht mehr so weit jedenfalls, auf See, in das Unkontrollierte aber in seinen, des potentiell wagemutigen Menschen, technischen und geistigen Grenzen Bezwingbare hinaus, sondern einfach an Land bleiben, demütig, abergläubisch und seinen erleuchteten Herren und Herrinnen mit Sonderlizenzen zur See- und Luftfahrt treu ergeben. „Die Natur ist unberechenbar“ steht da wirklich auf dem Schild an den Klippen am Ortsrand von Sassnitz, verfasst von einer Autorität, deren Macht sich daraus ableitet, glaubhafte Voraussagen über die zukünftige, als Gefährdung bewertete Entwicklung ihres Gegenstands treffen zu können und über Konzepte zu verfügen um ihr Verschwinden bzw. ihr Verderben abzuwenden, mit hoher Eintrittswahrscheinlichkeit. Sie stehen auf den Grundlagen der Moderne, suchen diese zu dekonstruieren und gleichzeitig die daraus abgeleitete Macht zu überhöhen, unter Verbesserung, mindestens Wahrung ihrer sozialen Stellung. „Wir brauchen die Natur. Als Lebensgrundlage, als Rückzugsort, als Quelle der Regeneration, heute mehr denn je. Wir brauchen ihren Schutz“ sagt die geneigte Verkäuferin des Ergebnisses. Dann brauchen wir auch die, die für ihr unergründliches Wesen sprechen können, es zu deuten verstehen und sowohl ihren drohenden Untergang als auch ihre Errettung zu prophezeien und aus eigener Machtvollkommenheit selber herbeizuführen versprechen. „Natur Natur sein lassen“ an der Hand ihrer Kammerdiener und Vertrauten bei Hofe, dem klandestin profanisierten transzendenten Reich der heilen Natur. Vor dem Monotheismus und den polytheistischen Religionen der Antike und des Mittelalters — auf Rügen immerhin bis ins 13. Jahrhundert — hatten sie nach gängiger Vermutung immerhin Naturgottheiten für deren Aspekte, nicht einfach die bloße Natur in ihrer abstrakten, nein konkreten Form der reichlich gewöhnlichen Gegenstände, Wesen und Vorgänge, die gewohnheitsmäßig damit verknüpft werden. Die These vom gegenwärtigen „Kollaps des Heiligen in das Profane“ hatte ich erwähnt, nicht wahr, von dem ungeliebten Professor X aus Kanada? „Wir leben so behütet hinter unseren zivilisatorischen Mauern, dass wir sogar vergessen haben wovor uns diese beschützen.“ Und: „Wir imitieren, was wir anbeten.“ Eigene, profane Seefahrt und Dieselmotoren stören da (und dürfen ja auch nicht so nah ran). Eigentlich auch echte Romantik, Wanderer über dem Nebelmeer und so. |
|
Caspar David Friedrich, Wanderer über dem Nebelmeer, um 1818 (Hamburger Kunsthalle). „[…] einer Ikone des deutschen Bewusstseins.“ schreibt dazu ein Autor der Wikipedia (Stand Juni 2022) unter Verweis auf Werner Hofmann: Caspar David Friedrich. Naturwirklichkeit und Kunstwahrheit. [sic!] München, 2000, S. 9. Habe ich nicht gelesen, die Quelle, hat aber einen Spitzentitel, in jeder Hinsicht, der es verdient, doppelt hervorgehoben zu werden. Ich glaube, er trifft voll ins Schwarze, da irgendwo unter dem Nebelmeer der verwirrenden Gegenwart.
|
|
|
|
Aber noch einmal zur Seenotrettung: Große, hochdramatische Rettungsaktionen sind heute in Nord- und Ostsee selten geworden, dank des hohen Sicherheitsstandards in der professionellen Seefahrt, technisch wie ausbildungsmäßig, aber sie kommen vor und manchmal fehlt nicht viel dazu. Selbstverständlich ist das alles nicht, mit dem geregelten, sicheren, verlässlichen Seeverkehr und der allgemeinen Hilfsbereitschaft. Der Kurs von Sassnitz nach Bornholm führt in die Nähe einer schwarz-rot-schwarzen Tonne, auf der zwei schwarze Bälle übereinander montiert sind und welche die Bezeichnung ‚JH‘ trägt. Sie warnt vor dem Wrack der polnischen Roll-on-Roll-off-Eisenbahnfähre JAN HEWELIUSZ, welche irgendwann in der Zeit des Übergangs nach Ende der Volksrepublik keinen guten Standard mehr hatte und seit dem 14. Januar 1993 dort in 10 bis 25 Metern Wassertiefe auf der Seite liegt, 21 Seemeilen vor Sassnitz. Vor dem Fischereimuseum im ehemaligen Rathaus in Swinemünde gibt es ein Denkmal, an dem bis heute vereinzelt Blumen niedergelegt oder Kerzen aufgestellt werden, nicht nur an Gedenktagen. Im gut organisierten Preußen hatten sie schon vor den ersten privaten Vereinen mit der Seenotrettung angefangen, auf Rügen wohl ab Übernahme der Insel von Schweden 1815, mit pferdebespannten Bootswagen, die vor dem Hinausrudern mit den offenen Booten vom Strand aus möglichst in die Nähe des Havaristen fahren konnten. Georg Paries schildert in seinem 1926 herausgegebenen Heimatbuch einen Einsatz der Thiessower Rettungsstation: Bei Windstärke 7 bis 8 und Schneeböen bis Stärke 10 war bei Karlshagen auf Usedom der schwedische Schoner „Juno“ auf ein Sandriff gelaufen und drohte von den Brechern zermalmt zu werden. Per Telegraf wurde die Rettungsstation alarmiert, das Boot wurde 7:45 Uhr zu Wasser gelassen und machte sich mit zwölf Thiessower Lotsen unter Lotsenkommandeur Bartels auf den Weg. Die rund 22 km (!) wurden in 2½ Stunden gerudert. Unter Lebensgefahr wurden die Besatzungsmitglieder des Schoners in das Rettungsboot gebracht, zwei von ihnen waren erstarrt und mussten aus den Seilen, mit denen sie sich an den Masten gesichert hatten, losgehackt werden. Um 17:15 Uhr kam man wieder in Thiessow an, einer der Schweden war auf der Rückfahrt verstorben. Dieter Naumann, Seenotrettung anno dunnemals. In: Das Blättchen, Nr. 17, 19. Jg., 15.8.2016. |
|
|
|
Zurück zur Natur |
|
Die Natur ist keine gute Mutter, die Natur ist vor allem zweierlei: Ein abstraktes Gegen-Sinnbild zur Sphäre des Menschlichen — welche idealtypisch von der modernen Großstadt verkörpert wird — das ausschließlich im Kontext menschlicher — oder hypothetischer menschenähnlicher — Kulturtätigkeit Sinn ergibt und, wichtiger noch zu vergegenwärtigen: Sie ist vollkommen gleichgültig. Sie ist einfach. Was darin am Leben ist, kann nur sein, wenn es hinreichend an seine Umweltbedingungen angepasst ist oder diese hinreichend weit zu seinen Gunsten verändert wurden. Auch andere Tiere tun das, und wie. Manchmal ohne Rücksicht auf Verluste. Haben keine Ahnung, was sie da anrichten, keine Umweltverträglichkeitsprüfungen und schon gar keine „Anwälte für die Erde“. Machen, verändern das was ist. Wenn’s das Richtige war, im Sinne von ihnen nützlich, überleben sie, können sich fortpflanzen und weiterentwickeln oder fühlen sich besser bzw. funktionieren besser. Wenn’s das Falsche war, eben nicht oder nicht so gut. Eventuell nimmt eine andere Tierart dann auf Dauer ihren funktionellen Platz, die ökologische Nische ein. Damit das nicht jedesmal ein Zufallsspiel ist, gibt es Instinkte, Traditionen, angeborene und sonstwie weitergegebene Eigenschaften, und Kommunikation. Botenstoffe, Warnrufe, Gesang, Geheul, Gesten, Flugfiguren u.s.w.. Wobei sich hier schon wieder ein Hauch von Intelligent Design eingeschlichen hat: Damit das kein Zufallsspiel ist? Nein, keine Absicht. Nur, dass die, die bessere Trefferquoten oder die entscheidenden Treffer zur rechten Zeit hatten, statistisch eher überlebt und sich fortgepflanzt haben, als die Pechvögel. Es ist wie es ist. Und wie es ist ist Natur. Es kann nicht wider die Natur sein, wenn es ist. Und wenn es noch so seltsam aussieht, schlecht riecht oder bizarre Dinge tut, nach menschlichen Maßstäben. Mit allen Hässlichkeiten, Grausamkeiten und nicht zuletzt dem „Zerstören“ von Flächen und Aussterben von Arten, die das mit sich bringt. “Let them go gracefully” — „lasst sie anmutig gehen“ hat der große George Carlin in diesem Zusammenhang einmal seinem kunstvoll mit Sprache und Gestik an die Grenze zwischen befreitem Lachen und wütender Empörung herangeführten Publikum zugerufen. |
|
|
|
Das übliche Nicht-Machen |
|
„Natur Natur sein lassen.“ Das, was unter den Bedingungen der Erde geworden ist, so sein lassen wie es ist. Oder eben das was auf der Erde ist wie es ist zu Natur im Sinne des Naturschutzes — etwas Höherwertigem, eben besonders schützenswerten — machen, indem man es bewusst gestaltet und inszeniert. Auf einer Bühne, auf der das Tun die Regel geworden ist, ist auch das Nicht-Tun ein Gegenstand bewusster Komposition, sofern es sich auf Dinge bezieht, die man Kraft seiner gestalterischen Möglichkeiten im üblichen Rahmen durchaus, vielleicht sogar mit Leichtigkeit tun könnte. Wenn alle tanzen, und du dich als einziger in die Mitte stellst und nichts machst, bist du die wichtigste Person im Raum. Felix Ruckert, in einer Unterhaltung am Rande eines Workshops, sinngemäß, um 2009. Menschen sind unter den Bedingungen der Erde zu Menschen geworden, handeln, leben und sterben unter diesen Bedingungen — sofern sie nicht in den Weltraum entwischen — und sind gleichzeitig Teil dieser Bedingungen, mit allen ihren Hässlichkeiten, Grausamkeiten, aber auch Schönheiten, ihrer Zärtlichkeit. Das eine von dem anderen zu unterscheiden und zu bevorzugen ist eine kulturelle Leistung, ein eigenmächtiges Setzen von Moral — Regeln also, über das was man tun und lassen soll — und eine grundsätzlich menschliche Eigenschaft, die Gegenstand der Tradition und Gestaltung ist, vor allem auf dem Feld der Politik, aber nicht begrenzt auf dieses. Wenn es Moral gibt, ist es, angesichts verschiedener Handlungs- oder Eingriffsmöglichkeiten, nicht mehr vollkommen gleichgültig was geschieht. Ein Eingriff in die Natur ist eine Auflehnung gegen die Gleichgültigkeit des Seins. Er trägt einen Widerspruch in sich, der in der Dichotomie der Begriffe Natur und Kultur angelegt ist und welcher meines Erachtens nur ausgehalten, nicht aber aufgehoben werden kann. (Vielleicht ist das ein Kern der Absurdität, von der Albert Camus geschrieben hat.) Natur [...], zentraler Begriff der europäischen Geistesgeschichte, [...] selbst problematisch geworden: Durch die Zunahme der technischen Eingriffe in die Natur, wodurch sich die Grenze des traditionell als unverfügbar Angesehenen immer weiter verschoben hat, einerseits, und die Erkenntnis, dass Natur nicht nur Objekt des menschlichen Erkennens und Handelns darstellt, sondern der Mensch selbst ein Teil dieser Natur ist, andererseits wird der Begriff unscharf; er verliert seine bisher durch die Gegenüberstellung zum menschlichen Bereich [...] geprägte Position. F.A. Brockhaus GmbH (Hrsg.), Brockhaus. Enzyklopädie in 30 Bänden. Bd. 19 Mosc – Nordd. 21., völlig neu bearb. Aufl., Leibzig; Mannheim., 2006, S. 383. |
|
Wobei ich mir alles andere als sicher bin, ob andere Tiere nicht auch so etwas haben wie Moral, mehr oder minder in Form von Instinkten vererbt, aber nicht unveränderlich, bei höher organisierten Arten mit komplexem Nervensystem und der Fähigkeit Muster aus verschiedenen Sinneswahrnehmungen in Form von Bildern o.ä. zu analysieren und ihr Verhalten neuartigen Situationen rasch anzupassen, also keine Automaten, nicht grundsätzlich alternativlos im tatsächlichen Handeln sind.
|
|
|
|
Man kann das Sterben von Lebewesen und Aussterben von Arten von Lebewesen schön — weil es natürlich ist — und im Sinne einer höheren, in der Regel transzendent begründeten Ordnung gerecht finden. Ich finde das Lachen eines Kleinkindes schöner und diejenige oder denjenigen, der es füttert und beschützt, einfach nur weil es da ist, das gerechteste Wesen auf der Welt, in einem Sinne, der auf eine instinktbewehrte Tradition von fünfundsechzig Millionen Jahren zurückblicken kann, mindestens. Sollte es je welche gegeben haben, die grundsätzlich anders gehandelt — und nicht nur in hochweisen ästhetisch-moralischen Betrachtungen auf der Suche nach Trost und Vereinigung gelegentlich anders gedacht, aber, wenn das Kind schreit, trotzdem gemacht haben — oder haben machen lassen — sind sie, im Sinne biologischer Nachkommen und ihrer weiter gegebenen Eigenschaften, wohl nicht mehr da. |
|
Evolution is a bitch. |
|
Gekränkt von der eigenen Neugier |
|
Die Idee einer perfekten, vielfältigen und harmonischen Schöpfung, in der alle, die einmal da sind, ihren Platz haben, so lange sie nicht vom Baum der Erkenntnis naschen und anfangen sich wider die Natur zu versündigen, ist nichts was sich durch die Spuren der Erdgeschichte belegen ließe. Die Idee dauerhaft perfekten oder im Sinne der Ganzheit des Lebens auf der Erde angemessenen Wetters bei natürlichem Gehalt von atmosphärischem Kohlendioxid übrigens auch nicht. (Natürlich ist das was ist, erinnern Sie? Selbst wenn Sie da den Menschen herausabstrahieren werden Sie, bei nüchterner Betrachtung, niemals einen feststehenden „natürlichen Gehalt“ finden. Außer, wenn Sie den Betrachtungsrahmen so klein machen, dass Sie praktisch nichts Veränderliches mehr sehen.) (Verzeihung, falls das gerade als Provokation ankam, aber Erdgeschichte ist die mit der Wirklichkeit.) Die Jasmunder Kreide wurde in einem tropischen Meer abgelagert zu einer Zeit, in der ein hypothetischer Beobachter von außen möglicherweise nicht gerade auf die paar rattenähnlichen, im Unterholz huschenden Säugetiere irgendwo auf dem Festland als aussichtsreichste Kandidaten zum Überleben und Erkenntnisbaumkuchenbacken getippt hätte. Lebensformen treten auf, verändern sich allmählich und verschwinden wieder. Nach der Oberkreide, vor etwa sechsundsechzig Millionen Jahren verschwanden ziemlich viele, weitgehend ohne Erkenntnis, soweit wir annehmen dürfen. Nun ja, Dinge passieren, irgendwas von oben, von unten, von der Seite, von innen … |
|
Die Evolution ist ein Miststück, ungebildetes. |
|
|
|
Alle hatten Eltern und früher war es anders als heute, also muss es sich verändert haben. Soweit, so unspektakulär, an und für sich. (Und ich bin dem Biologie-Professor, der das so einfach und klar gefasst hat, in großer Dankbarkeit verbunden.) In der Moderne, nach Darwin. Nicht einmal die Ozeane und Kontinente bleiben, nach Wegener und Hess. Die Gesetze, unter denen alles abläuft, die bleiben im großen und ganzen, nach Hutton, und deswegen können wir aus den in der Gegenwart beobachteten Prozessen auf das schließen, was die Spuren der Vergangenheit hinterlassen hat. Nichts transzendentes und auch keine einmaligen, mit nichts vergleichbaren Katastrophen notwendig, um es erklären und nutzen zu können. Keine höhere Bedeutung, keine Vervollkommnung, nirgends. Jedenfalls nicht auf der Erde. Tja. Nicht Teil einer Schöpfung, schon gar nicht deren Krone, auf ’nem instabilen, disharmonischen Ding, das älter ist als in den heiligen Schriften angegeben, Produkt ganz gewöhnlicher Prozesse, den Tieren gleich, nicht nur bewusst handelnd — um Freud noch mit hinein zu nehmen in den illustren Kreis — aber dann muss eigentlich auch C.G. Jung dazu, des Schattens wegen, der so leicht ausgeklammert wird — und natürlich nicht im Mittelpunkt des himmlischen Geschehens — Kopernikus sei auf einen Ehrenplatz gebeten — da, wo hier gefangen — Grüße von den Herren Bessel, Ziolkowski und Einstein — nichts außer Staub- und Gaswüsten in der draußen erreichbaren Nähe — zu viele Namen von Beobachtern und komplizierte Entdeckungsgeschichten, um sie hier aufzuführen, aber ein Hoch auf die 27 Männer, die zumindest in der allernächsten Nähe wirklich nachgesehen haben — und ich hätte ruhig auch eine Frau geschickt, um ganz sicher zu gehen, alleine schon den Geschichten der unten Gebliebenen wegen — ein Hoch auch auf Pioneer 10 und 11 und die beiden Voyager-Sonden, mit seltsamen Tränen der Rührung bedacht — unsichtbare, mit dem Fortschreiten des Zerfalls ihrer nuklearen Batterien verstummende Symbole menschlicher Einsamkeit und der Moderne selbst am Firmament geworden — ihre Konstrukteure, Steuerleute, geduldigen Lauscher und Datenanalysten — und sehr wahrscheinlich auch nichtmal in der Lage alles kaputt zu machen, der Mensch als solcher, vielleicht nicht mal sich selbst und die, die in und von einem leben, vollständig … Menno! Nichts als Kränkungen hier. Eine einzige Erniedrigung, die Sache mit der Erkenntnis. Toxic humanity! Curiosity killing holy cows for to feed little kittens … Kann man da nicht wenigstens noch irgendwas allumfassend Böses einfügen, so unsichtbar, immer da, ewig zu bekämpfen und maßlos zu bereuen? Wenn nicht die Krone der Schöpfung oder gar deren vollkommener Herrscher — Schöpfer — selbst (Was für eine atemberaubende Häresie, im klassischen theologischen Sinne! Welch eine maßlose Drohung, den Mitmenschen gegenüber!) dann doch wenigstens deren Zerstörer oder notorischer Verderber alles Guten, Wahren, Schönen, Harmonischen, Vielfältigen, ungestört ablaufend Reinen? Wenigstens so ein bisschen Rache für all die Desillusionierungen seit fünfhundert Jahren? (Wenn nicht schon viel länger, mit Unterbrechungen.) Das notorische Verfehlen des hehrsten aller Ideale: der Reinheit? Die erzwungene Beschäftigung mit all den Übeln? One cannot cast a positive image of the utopia. Man kann kein positives Bild des Utopias formen. Theodor W. Adorno Vergeltung auch für den Zynismus, den das den hehren, wahrheitssuchenden Idealisten auferlegt, so ausgeliefert der erdrückenden Last ihrer eigenen Gedankengebäude, gepiesackt von rationalisierter Sehnsucht nach Vereinigung und Freiheit? Und wer weiß, vielleicht kommt das verlorene Paradies des Vormenschlichen ja wieder, wenn man nur das Werkzeug kaputt bekäme, mit dem Erkenntnis vervielfältigt und weiter gegeben werden kann? Language is power. Power-Language. Power gets distributed, unequally in fact. That is unjust, as it limits man’s possibilities of being. To expand them necessarily requires liberation from supervision and punishment. Sprache ist Macht. Macht-Sprache. Macht wird verteilt und zwar ungleich. Das ist ungerecht, da es des Menschen Möglichkeiten des Seins beschränkt. Diese zu erweitern erfordert notwendigerweise Befreiung von Überwachung und Strafe. Michel Foucault zugeschrieben, sinngemäß komprimiert, zusammengefügt und übersetzt. Möglicherweise nicht ganz korrekt, da von eigenmächtig angeeigneter Macht verzerrt, als gerade keiner geguckt hat, unter tapferer Negierung möglicher Konsequenzen. Expanding possibilities of being und so … Wenn zivilisatorischer Fortschritt und Befreiung des menschlichen Geistes von den Fesseln des Glaubens das Projekt der Moderne war, könnte man das Projekt der Postmoderne dann so etwas wie ‚nachholende Rache an Eva‘ und ‚Schleimwinseln an den Pforten des verlorenen Gartens‘ nennen? Natürlich — was sind wir schließlich aufgeklärt und über die moralischen Fehler der Vergangenheit erhaben — getragen vom Selbstverständnis, das Emanzipierteste, Einsichtigste und Mitfühlendste, ja endgültig bescheiden Größteste, Weltenrettendste und eigentlich schon zum bloßen Überleben im Anti-Natur-Horror westlicher Großstädte nüchtern Notwendigste, Naturbeschützendste und demütigst Paradieswiederherstellendste aller Zeiten zu tun, wenn auch mit einem Hauch Ironie oder heruntergebrochen auf ein Lebensgefühl, dass sich im Setzen von Zeichen manifestiert? ‚GröPawiheaZchen‘ — ‚Größte Paradieswiederherstellerchen aller Zeiten‘ könnte man die Anführer:innen nennen, mit einem Hauch Ironie wiederum, in der passenden deutschen Traditionslinie. |
|
Charles Darwin, On the Origin of Species, 1859 (Evolutionsbiologie). Alfred Wegener, Die Entstehung der Kontinente und Ozeane, 1915 (Kontinentalverschiebungstheorie). Wegener wurde seinerzeit als fachfremder Spinner abgetan und weitgehend wieder vergessen. Deshalb sei, stellvertretend für viele, die dennoch nicht aufgehört haben, den unbefriedigenden „Konsens“ in Frage zu stellen, auch Captain Hess erwähnt, der während des Zweiten Weltkrieges die Idee hatte, einfach mal das Echolot seines Truppentransportschiffes auch auf dem Ozean weiterlaufen zu lassen und dann zu gucken, was so kommt … Harry Hammond Hess, History of Ocean Basins, 1962 (Theorie der Plattentektonik). Charles Hutton, Theory of the Earth, 1788 (Aktualismus in der Geologie). Sigmund Freud, Das Ich und das Es, 1923 (Strukturmodell der Psyche). Carl Gustav Jung … Schatten als Konzept im Modell der Psyche … irgendwann in den 1910ern oder 1920ern, vermutlich. Nikolaus Kopernikus, De revolutionibus orbium coelestium (Über die Umlaufbahnen der Himmelssphären) 1543 (Heliozentrisches Weltbild). Friedrich Wilhelm Bessel, Bestimmung der Entfernung des 61sten Sterns des Schwans, 1838 (Erstmalige indirekte Messung der Entfernung zu einem anderen Stern: ungefähr 10,28 Lichtjahre). Константи́н Эдуа́рдович Циолко́вский (Konstantin Eduardowitsch Ziolkovski) Исследование мировых пространств реактивными приборами (Erforschung des Weltraumes mittels Reaktionsapparaten) 1903 (Teil 1) und 1911 (Teil 2) (Raketengrundgleichung und Kosmische Fluchtgeschwindigkeit: ca. 11,2 km/sec um von der Erde wegzukommen) (Die minimale Geschwindigkeit, um von der Sonne wegzukommen, von der Erde aus — Systemfluchtgeschwindigkeit sozusagen — liegt bei 16,6 km/sec und entspricht etwa 0,055‰ der Lichtgeschwindigkeit.) Albert Einstein, Zur Elektrodynamik bewegter Körper (u.a.) 1905. (Spezielle Relativitätstheorie, aus der u.a. folgt, dass die Lichtgeschwindigkeit eine absolute Grenze ist und ab etwa 40% dieser Geschwindigkeit der Energiebedarf, um selbige zu erreichen, gegenüber dem, der sich aus der klassischen Newton’schen Mechanik ergibt, enorm ansteigt.) |
|
|
|
Der Rückweg ins vermeintliche Paradies der Vorzivilisation, des Vor-Menschlichen ist versperrt. Ihr könnt nur versuchen, die Menschen zu beseitigen, um den Preis von Liebe und eigener Existenz. Wenn es euch gelingen sollte kommen früher oder später eben andere Arten an dessen [unserer] Stelle. Die Logik der Evolution bevorzugt die Lebenstüchtigen und gegen das Leben an sich habt ihr keine Chance. Und über alle, die je versucht haben, Menschen aus grundsätzlichen Erwägungen heraus zu beseitigen, ist das Urteil der menschlichen Geschichtsschreibung eindeutig. Zu Recht. Und sie sind bisher alle gescheitert, auf allen Ebenen. Es ist eine Form von Dummheit, selbst verschuldete Unmündigkeit, wahrscheinlich aus Angst. Im Kern der Postmoderne steht die Feigheit angesichts der Absurdität. Erbärmlich, in jeder Kultur. Aus: Conditio humana. Eine Annäherung an die politische Gegenwart. Unveröffentlichtes Manuskript, Juni 2020. |
|
||
Milch von glücklichen Segelschiffen |
|
Und die Schiffe, Geschichtensammelmaschinen? Nun, Segelschiffe waren das erste Mittel, dass eben diesen seltsamen, in einem Moment respektlos neugierig nüchtern verständigen und im nächsten zu selbstverdammend-überhöhenden Wahnvorstellungen neigenden — außerdem für Unpässlichkeiten; Störungen der Nahrungsverarbeitung im Zusammenhang mit ihrem Gleichgewichtssinn anfälligen — und dennoch ganz erstaunlich überlebenstüchtigen, ewig nach Berührung, Milchzitzen und guten Aussichten auf die Grenzen der Welt suchenden, spärlich behaarten Landsäugetieren die Umrundung der Erde ermöglicht hat. Nicht ganz die Welt zwar, aber ihre Welt, immerhin. Da lang, wo man auch als ausgewachsener Zweibeiner nicht mehr stehen kann, nichts mehr ist, wo man sich heraufschwingen, weiterklettern könnte und daher, so man dennoch voran will, nichts mehr übrig bleibt, als sein Leben einer dieser umständlichen, alptraumhaft lockenden, hin und wieder mit Katz’ und Maus untergehenden, aber Macht erzeugenden Kisten anvertrauen muss, in vollem Ernst und, den flugs daran geknüpften epischen Erzählungen nach, in der Hoffnung, hinter dem Horizont der bis dahin bekannten Welt eines Tages ein Abbild der eigenen Träume zu entdecken — grüne Inseln etwa, reich an exotischen Blumen, sagenhaften Schätzen und fruchtbarer Erde — Essen und Trinken in Hülle und Fülle — weiche, milde Luft mit Blütenduft und zarten Klängen darin — ganz gleichartige und doch fremde, eigentümlich bezaubernde, halbnackte Tiere mit — ehe man über die selbst hinterlassenen Spuren und offen gelassenen Rechnungen stolpert, obwohl man nie umgekehrt ist. Wenn das keine liebenswerte Tradition begründet … |
|
|
|
Spiritual
|
|
Santy Anno
We’re
sailin’ down the river from Liverpool
So
heave her up and ’way we’ll go
There’s
plenty of gold so I’ve been told
Well
back in the days of fourty nine Traditional Chantey, 19. Jahrhundert, in einer Version von Odetta (Odetta Holmes 1930–2008) vermutlich 1956. Meine Übersetzung:
Wir
segeln den Fluß hinab von Liverpool
So
hievt sie auf und weg wer’n wir laufen
Da
is’ ’ne Menge Gold, wie mir gesagt wurde
Nun,
damals in den Tagen von Neunundvierzig |
|
Darf man Traditionen noch lieben, öffentlich? |
|
Les hétérotopies |
|
Es gibt also Länder ohne Ort und Geschichten ohne Chronologie. Es gibt Städte, Planeten, Kontinente, Universen, die man auf keiner Karte und auch nirgendwo am Himmel finden könnte, und zwar einfach deshalb, weil sie keinem Raum angehören. Diese Städte, Kontinente und Planeten sind natürlich, wie man so sagt, im Kopf der Menschen entstanden oder eigentlich im Zwischenraum zwischen ihren Worten, in den Tiefenschichten ihrer Erzählungen oder auch am ortlosen Ort ihrer Träume, in der Leere ihrer Herzen, kurz gesagt, in den angenehmen Gefilden der Utopien. Dennoch glaube ich, dass es – in allen Gesellschaften – Utopien gibt, die einen genau bestimmbaren, realen, auf der Karte zu findenden Ort besitzen und auch eine genau bestimmbare Zeit, die sich nach dem alltäglichen Kalender festlegen und messen lässt. Wahrscheinlich schneidet jede menschliche Gruppe aus dem Raum, den sie besetzt hält, in dem sie wirklich lebt und arbeitet, utopische Orte aus und aus der Zeit, in der sie ihre Aktivitäten entwickelt, uchronische [achronische?] Augenblicke. Michel Foucault, Die Heterotopien, France Culture 7. Dezember 1966. In: Michel Foucault, Die Heterotopien Les hétérotopies Der utopische Körper Le corps utopique. Zwei Radiovorträge. Zweisprachige Ausgabe übersetzt von Michael Bischoff. Mit einem Nachwort von Daniel Defert, 2. Auflage, Berlin: Suhrkamp, 2014, S. 9. In der Kolonie haben wir eine Heterotopie, die gleichsam naiv genug ist eine Illusion verwirklichen zu wollen. Im Freudenhaus haben wir dagegen eine Heterotopie, die subtil und geschickt genug ist, die Wirklichkeit allein durch die Kraft der Illusion zerstreuen zu wollen. Und bedenkt man das Schiffe, die großen Segelschiffe des 19. Jahrhunderts, ein Stück schwimmender Raum sind, Orte ohne Ort, ganz auf sich selbst angewiesen, in sich geschlossen und zugleich dem endlosen Meer ausgeliefert, die von Hafen zu Hafen, von Wache zu Wache, von Freudenhaus zu Freudenhaus bis in die Kolonien fahren, um das Kostbarste zu holen, was die eben beschriebenen Gärten zu bieten haben, dann wird deutlich, warum das Schiff für unsere Zivilisation zumindest seit dem 16. Jahrhundert nicht nur das wichtigste Instrument zur wirtschaftlichen Entwicklung gewesen ist, sondern auch das größte Reservoir für die Fantasie. Das Schiff ist die Heterotopie par excellence. Zivilisationen, die keine Schiffe besitzen sind wie Kinder, deren Eltern kein Ehebett haben, auf dem sie spielen können. Dann versiegen ihre Träume. An die Stelle des Abenteuers tritt dort die Bespitzelung und an die Stelle der glanzvollen Freibeuter die häßliche Polizei. Derselbe, S. 21–22. Ich habe nichts zu ergänzen und verneige mich vor einem Meister der Sprache und seinem Übersetzer. |
|
|
|
Schiffe mit Masken |
|
Vielleicht folgen meine Behauptungen hier schon allzu sehr einem sentimentalen Wunsch und einer Idealisierung. Möglich. Man verfällt nicht ohne Grund in den Zynismus der Postmoderne. Aber ich mag ja auch den heutzutage nun völlig anachronistisch gewordenen Brauch, Schiffen Charakter zuzusprechen, vor allem weiblichen. |
|
Und grüße ganz nebenbei die, welche mich hingewiesen hat, auf diese Gedanken. |
|
|
|
«Hej, ich bin die Neue von Gegenüber und heiße FOB SWATH 6, fra det professionelle Danmark. Ich bin was für die großen Jungs vom Windpark, aber seit gestern sehe ich immer nur deinen süßen angebundenen Hintern vor mir, kleine ISABELLE. Ruf ! Mich ! An !» (Wo war ich stehen geblieben? Ach ja: Realität, Einbildung und Geschichten auf Segelschiffen, Grenzen derselben, philosophisch ernst, im Ton aber heiter, den Zynismus in Sichtweite, das Mitgefühl tapfer gegenhaltend, für verständige, spärlich behaarte und manchmal obendrein rasierte Säugetiere:) |
|
Free
On Board Small-Waterplane-Area Twin Hull Six
(DK) |
|
|
|
Es gibt Gegenbeispiele. Repliken und rekonstruierte, aber fahruntüchtige Museumsschiffe mahnen von Ferne und Ausflugsschiffe im schwarz-weißen Wal-Kostüm oder mit mimetischen Schaufelrädern fast vor der Nase. Diese großen Auslaufparaden der Hafenfeste, wo mit gesetzten Rahsegeln gegen den Wind motort wird, damit es nach was aussieht … |
|
|
|
|
|
Das Schöne am spielerisch erworbenen Sachverstand ist ja, dass die Simulation durchschaubar wird. Häufig verliert sie damit einen großen Teil ihrer Anziehungskraft, auf beiden Seiten der Bühne. (Beobachtet einmal die Matrosen auf diesen verballhornten Ausflugsdingern auf Anzeichen echter Begeisterung und Hingabe für die, von ihren Fahrgästen bezahlten, technisch professionellen, aber ästhetisch dürftigen Stücke mit Partizipation des Publikums, die sie routiniert aufführen!) Aber was soll’s, das Publikum will es, das Publikum kriegt es. „O hochverehrtes Publikum, sag mal: bist du wirklich so …“ Kurt Tucholsky, 1931. |
|
Was ist ein funktionsfähiges Passagier-Motorschiff, das vorgibt, ein Wal zu sein? Simulation oder Simulacrum? Vergleiche auch hier. |
|
Langschiff „Drachen Harald Haarschön“ |
|
Verwickelter wird es bei den Repliken oder Rekonstruktionen: Ein mit vielen originalgetreuen Details, aber in seiner Größe die näher bekannten Vorbilder weit überragendes, nachgebautes Wikingerschiff mit Zwei-Schrauben-Hilfsantrieb fällt mir ein, das außer Seefahrtserlebnisse zu ermöglichen und Traditionen wach zu halten für mehrere gute Sachen werben, bzw. in derem Sinne inspirieren und Dinge lehren, angeblich auch erforschen soll (“exploring the oceans to inspire and educate people about the ocean as the foundation for life and a healthy planet”) und das, im Zusammenhang mit Zielen der norwegischen Regierung, ein „Symbol für nachhaltige Ozeane“ sei. |
|
|
|
|
|
Seltsamerweise werden dann in der ansonsten sehr professionellen Öffentlichkeitsarbeit die eingebauten Motoren nur ganz versteckt erwähnt, was aber bestimmt nur ein dummes Missverständnis ist, da sich Dieselmotoren für Segelschiffe doch heute eigentlich fast von selbst verstehen, außer in der enzyklopädischen Referenz Wikipedia. Nur der Sicherheit und Planbarkeit und der Vorschriften wegen, schon klar. Ähnlich das „Follow ship“ bei der wirklich großartig inszenierten Atlantik-Überquerung, mit Filmstudio und Extra-Vorräten. Genügt das, um es ein maritimes Maskenspiel mit Tugenden, Erwartungen und Selbstverständlichkeiten zu nennen? Etwas, wo sich die beeindruckende Form vor den profaneren Inhalt legt und anfängt, von Heiligkeit zu erzählen, ungeachtet der Wirkung, die das über kurz oder lang auf das Heilige haben wird? Was ist ein qua seiner Funktion als “foundation for life and a healthy planet” als ziemlich heilig angesehener Ozean, der durch YouTube-Videos von nachgebauten Wikingerschiffen mit halbversteckten Dieselmotoren bewahrt werden kann? Kollaps des Heiligen in das Profane, ich glaube es langsam zu begreifen. |
|
Nachhaltig ist eigentlich ein Begriff aus der Forstwirtschaft und meint das Prinzip, nicht mehr Holz auf einmal zu schlagen als in der Zeit bis zum nächsten Einschlag nachwachsen kann. Also einen gewissen, von Fläche und Regenerationsdauer des Nutzwaldes abhängigen Bestand an zur Ernte reifen Bäumen für später; nachher stehen; erhalten zu lassen (um gleichmäßige und dauerhafte Erträge zu erzielen). Was ist ein ‚nachhaltiger Ozean‘? |
|
Spielverderber-Thesen eines ehemaligen Schlüsselkindes, das 1991 Nirvana gut fand ohne zu verstehen warum |
|
Je mehr ich darüber nachdenke, desto brüchiger erscheint mir meine Behauptung der Widerspenstigkeit von Segelbooten gegenüber den Eindruck heischenden De- und Rekonstruktionen und Maskierungen der Postmoderne. Auch mag die Grenze zwischen traditionellem Sport — Fortbewegung mit Wasserfahrzeugen mit überkommener, aber zielgerichtet weiterentwickelter Antriebstechnik, Form und Ausstattung zwecks körperlichem und regelbasiertem Spiel: Segeln mit halbwegs modernen Yachten — und LARPing — Live Action Role-Play gaming — Realitätsbezogen Erlebnis-Rollenspielen mit maritimem Thema — Segeln mit bewusst nach historischen Vorbildern gebauten oder auch nur technisch-konzeptionell nah an solche angelehnten Wasserfahrzeugen zwecks körperlichem, regelbasiertem Spiel in Anlehnung an historische Ereignisse und touristische Neugier — gegebenenfalls mit zeitgenössischem umwelt- oder sozialbezogenen Wohltätigkeitsaspekt — nicht gerade scharf gezogen sein. Wo ist das Element von Wettkampf, welches häufig als kennzeichnend für Sport angesehen wird, beim Fahrtensegeln? Doch nicht etwa in den Fahrtenwettbewerben der Vereine, als den Sport kennzeichnendes Element? Liebe Fahrtensegler, ich bitte euch, wofür segelt ihr? |
|
Spielen wir (nur) (vor) dass wir Sport machen? |
|
|
|
Vielleicht ist auch schon das Streben nach klarer Benennung und damit einhergehender Abgrenzung Ausdruck einer überkommenen, eng mit den Idealen der Europäischen Aufklärung verknüpften Zeit, die von rasantem, alle Bereiche der Gesellschaft erfassendem Fortschritt der technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten gekennzeichnet war und eine Vielzahl neuer Spiele, Sportarten und Rituale hervorgebracht hat ohne je den Versuch aufzugeben, diese wahrheitsgemäß zu kategorisieren und organisatorisch voneinander zu trennen? Who cares, today? Wen interessiert’s, heute, so lange alle Beteiligten Spaß haben, freiwillig mitmachen und gegen keines der weiterhin bestehenden sowie der neu erlassenen, manchmal auch durchgesetzten Gesetze und seltsamerweise neu verhängten bzw. verteidigten Tabus verstoßen wird? Anything goes? Does it? What doesn’t go, even in play? Was geht gar nicht, auch nicht im Spiel, obwohl es technisch und organisatorisch, theoretisch sehr wohl ginge? Was gilt als „undenkbar“ obwohl man es offensichtlich gut genug denken kann, um es zu erkennen und zurückzuweisen? |
|
|
|
|
|
Vielleicht hilft ja ein wenig marktwirtschaftlich geschulte Nüchternheit weiter, ausnahmsweise mit einer gestohlenen Prise postmodernem Zynismus, was bitte nicht als Häme missverstanden sei: Segelboote kosten nicht wenig Geld und Zeit — wenn wenig Geld, dann viel Zeit — Segelschiffe kosten noch mehr Geld und professionelle Zeit und Sonderbauten sind grandios teuer. Wenn man damit eben weder Fracht, noch Passagiere irgendwie profitabel transportieren oder gar aussichtsreich Krieg führen — Hampton Roads ist immerhin 160 Jahre her — oder diese Dinge unterstützen kann, aber trotzdem gerne zur See fahren möchte, muss man sich etwas einfallen lassen, wenn man Geldgeber überzeugen und billige Hilfskräfte — z.B. Matrosen, die ohne Lohn in ihrer Freizeit für einen arbeiten sollen — anlocken und bei der Stange halten will. Und dann geht es einfach nach dem was der Markt hergibt: Wenn klassische Sportlichkeit zieht, gibt es Kampagnen für die Teilnahme an prestigeträchtigen Wettfahrten oder Kadersegeln mit Zwangsfinanzierung aus den Vereinen des Breitensportes. Wenn Barfuß-Abenteuer und Selbsterfahrung angesagt sind, laufen z.B. Vorträge, Bücher und Mitsegeln auf den Booten von bekannten Weltumseglern und wenn plötzlich unter „Ozean putzen“ und „Planet heilen“ keiner mehr einen Finger krumm bzw. das Portemonnaie aufmacht werden eben Traditionsschiffe zu „Botschaftern der Nachhaltigkeit“ “to further strengthen collaborations with ocean focused scientists, governments, NGOs, and local communities” (s.o.) was auch immer das heißen soll. |
|
LARPing der Paarungsgewohnheiten von Wikingern auf Reisen? Nachspielen der wikingerzeitlichen Anwerbepraxis fremder Arbeitskräfte aus südlichen Ländern, evtl. unter reichlicher Verwendung von hautfarbener Schminke? |
|
|
|
Das Publikum genießt jeweils die schönen Bilder und packenden Geschichten, lässt sich ein bisschen ‚inspiren‘ und bekommt, im ersten und dritten Falle, dazu noch die Möglichkeit, sich mit etwas Großem und Gutem zu identifizieren, sei es eine Nation, ein Club, eine Firmenmarke oder eine politische Bewegung, die bzw. deren Vertreter alle jeweils Masken der Selbstlosigkeit und Wohlanständigkeit tragen. “Here we are now, entertain us!” — „Hier sind wir nun, unterhalte uns!“ Never mind, if I have offended your pet hamster. And don’t do evil, there are grown-ups in the room … |
|
Ahem. Politische Bewegung, da im Zusammenhang mit Segelsport? Das klingt aber nicht mehr so ganz traditionell, in gut. Welche Ziele und Methoden hat denn die? Auf welchen Ideen fußt sie? An welche Gefühle hängt sie sich? Wo führt sie hin? Interessiert das keinen, neben der Schönheit der Schiffe? ‚Generation X‘ meint, nach vor allem in den U.S.A. gängiger Einteilung, in einigen westlichen Ländern die Alterskohorte zwischen den Geburtsjahrgängen 1965 und 1980, also die nach den ‚Baby Boomers‘ und vor den ‚Millenials‘ und der darauffolgenden ‚Generation Z‘. (Ich weiß auch nicht, was die haben. So jung … Vielleicht, weil nach ihnen das Alphabet alle ist? Macht doch zweistellig weiter. Die nächsten, also die jetzt, seit so um 2012, wären dann ‚AA‘. Oder ‚Ge-Naa‘? An wem hier orientieren wir uns denn mal am besten, wenn wir das erste mal laufen können?) Wenn alles nur noch Kopie und kopierte Aufregung um Kopien ist, wird Authentizität zur Mangelware. Damit müsste dann eigentlich ihr Preis steigen, wenn es mit rechten Dingen zugeht. Und vorgebliche Authentizität wäre …
|
|
|
|
|
|
||
Egoistisch,
bescheiden |
|
Ich finde ja, unter den eben zusammengestellten Beispielen, den barfüßigen Weltumsegler, der aus persönlichen Gründen reist, am authentischten. Er oder sie oder beide — selten mehr — machen, was ihnen gefällt, dem Publikum gefällt’s auch, die Welt darf sein, wie sie ist and everybody who is closer involved is having a good time, as far as it gets — jeder näher daran Beteiligte hat eine gute Zeit, so weit wie es eben geht, in menschlichen Proportionen. Aber ich habe ja auch nicht ganz zufällig in meiner Kindheit und Jugend Geschichten von individualistischen Abenteurern aus den 1960er bis 80er Jahren gelesen und gehört (u.a. aus den Bücherregalen und viel mehr -stapeln eines Kindes aus der Zeit, der in den U.S.A. die Silent Generation zugeordnet wird) aus dem Teil der Welt, wo das ohne erzwungene performative Staats- und Gesellschaftsform- und Weltveränderungsverherrlichung ging. |
|
||
|
|
Traditionsschiffe, die von Liebhabern betrieben werden, darunter nicht selten frühere Berufsseeleute, die ihre stählerne Geliebte und all das schönere Drumherum an der ernsten Sache nicht verlieren wollen, fallen — meiner „traditionellen“ «Öhöm» Schoneryachten zugeneigten Meinung nach — in eine ähnliche Klasse. Aber nochmal, was soll’s? Lass sie doch LARPen, wie auch immer sie es nennen, damit es nicht so komisch aussieht, auch vor sich selbst. Und ich finde eine Gesellschaft, die dem Raum gibt, hat das Zeug zur Großartigkeit, nicht nur in Bezug auf Schiffe. (Geht auch bei Gelegenheit einmal mit Kindern zum Hafen und beobachtet, was ihre Augen zum Leuchten und ihre Neugier zum Fragenstellen bringt … und habt ein Herz für Eisverkäufer!) |
|
|
|
|
|
“… is pleasure and pleasure is good for you” hat eine mit großem Herzen und viel Erfahrung gesagt, in einem Zusammenhang, der in den letzten ungefähr zehn Jahren dermaßen wieder mit Konsequenzen beschwert wurde, dass ich noch nicht einmal mehr den ersten Gegenstand des Zitates nennen kann, ohne mich hier mittelbar aus dem noch halbwegs sicheren Raum zu schießen. Und Segeln hat damit sowieso nichts zu tun, gar nichts! Zur Besänftigung könnte ich es erahnende Menschen mit Sinn für lokal mehrheitliche spirituelle Traditionen versuchsweise noch auf den jauchzenden Wunsch in Lukas 2:14 verweisen, aber nicht in den jüngeren Ausgaben der Luther-Bibel. |
|
In times of virtue-signalling, hedonism for normal people is underrated. In Zeiten der Tugendzurschaustellung ist Hedonismus für normale Leute unterbewertet. |
|
Nützliche
Umstände, |
|
Möglicherweise ist das Aufsetzen einer Für-einen-guten-Zweck-Maske einfach ein pragmatischer Weg, der die Fortsetzung dieser Liebes- und Reisegeschichten ermöglicht, in wiederum, bei Lichte besehen, wirtschaftlich schon seit längerem schlechter werdenden Zeiten. Möglicherweise wächst da tatsächlich so etwas wie eine synergetische Verbindung von privater Leidenschaft und Gemeinwohl heran, über die etablierten aber schon wieder altmodisch bis verdächtig erscheinenden Themen wie Traditionspflege, Sportförderung, Jugendarbeit oder Völkerverständigung hinaus. (Weiß noch jemand, was letztere war und warum es für wichtig gehalten wurde?) Und ganz neu ist Umweltbildung ja nun auch nicht mehr. Was neu ist, ist die Verbreitung über relativ kleine alternative Szenen hinaus, der auf alle möglichen Themen einschließlich des Essens (schwierig) der Sprache (Streit über korrekte, standesgemäße persönliche Anrede wieder hoch im Kurs!) und des Wetters (alarmierend schlecht, von allen verursacht, unbedingt wenigstens symbolisch zu verbessern) übergreifende Dauer-Aktivismus (‚Live-Action-Umweltveränderungsbildung‘? — ‘LAEAEPing’?) und der Anspruch auf Weltgeltung. Und genau darin ist es dann auch ein Mittel, um sich die Energie, Begeisterungsfähigkeit, Hingabe und Kreativität der seefahrtbegeisterten Protagonisten und ihres Publikums nutzbar zu machen, als willige Helfer oder Unterstützer für politische Programme, die zwar unten für alle beworben, aber oben von anderen beschlossen, kontrolliert und nebenbei an anderer Stelle in weitaus mehr Geld und Macht umgewandelt werden. Wiederum auf Schiffe bezogen möglicherweise mit durchaus nicht unangenehmen Effekten in der Größenordnung von dem was beispielsweise der Bremer Lürssen-Werft einen guten Teil ihres Auskommens ermöglicht. Nur nicht für alle, natürlich nicht, das wäre bestimmt auch nicht nachhaltig. |
|
„Ein
kleines Harfenmädchen sang.
Sie
sang von Liebe und Liebesgram,
Sie
sang vom irdischen Jammertal,
Sie
sang das alte Entsagungslied,
Ich
kenne die Weise, ich kenne den Text, Aus: Heinrich Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen, Caput I, 1844. |
|
|
|
Ob es auch hilft, einen an und für sich unbelebten, instabilen und disharmonischen, überwiegend immer noch ziemlich heißen und nicht einmal wirklich runden Ball aus Eisen und Stein, mit ein bisschen Wasser und Grünzeug, Schmodder, Schleim und ein paar Viechern darauf, der in einer nahen Umlaufbahn um einen langsam ausbrennenden, noch nicht allzu alten Stern gefangen ist „gesund“ und logisch dazu passend, möglicherweise frei von „Krankheitserregern“ zu machen? Die Begründung einer der möglichen Antworten darauf wird, meiner geographisch, historisch und ein wenig auch spirituell gebildeten Einschätzung nach, immer ähnlicher dem, weswegen ein eigensinniger Augustinermönch, einer verbreiteten Erzählung zufolge, im Oktober des Jahres des Herrn 1517 einen Zettel mit ein paar Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg nagelte und damit eine von der eigenen Herrlichkeit berauschte und, hinsichtlich des Marktpotenzials bodenloser Schuldgefühle, auch sehr geschäftstüchtige Welt ins Wanken und neben allerlei finsteren Alpträumen dem Lichtschalter ein wenig näher brachte. |
|
“In searching for a new enemy to unite us, we came up with the idea that pollution, the threat of global warming, water shortages, famine and the like would fit the bill… All these dangers are caused by human intervention, and it is only through changed attitudes and behavior that they can be overcome. The real enemy then, is humanity itself.” Alexander King & Bertrand Schneider, The First Global Revolution. [sic!] A Report by the Council of the Club of Rome, 1991. Meine Übersetzung: „Auf der Suche nach einem neuen Feind, der uns einigen könnte, kamen wir mit der Idee, dass Verschmutzung, die Drohung von globaler Erwärmung, Wasserknappheiten, Hunger und dergleichen das Richtige wären… Alle diese Gefahren werden von menschlichen Eingriffen verursacht und es geht nur durch veränderte Einstellungen und verändertes Verhalten sie zu bewältigen. Der wirkliche Feind ist dann die Menschheit [Menschlichkeit] selbst.“ |
|
Zwischenruf
|
|
Im übrigen finde ich die Wertung von Menschen als Krankheitserreger im Zusammenhang mit einem behaupteten Heilungsbedürfnis der Erde, das nach einstimmiger Meinung von ungefähr 97 Prozent der anerkannten Experten in Planetenheilkunde den Sünden der industrialisierten, manchmal auch generell der zivilisierten Menschheit zuzurechnen ist widerlich, unmenschlich, arrogant, herzlos und entwürdigend. Auch wenn sie implizit erfolgt. Sie widerspricht allem, was wir und die vor uns spätestens nach dem Ende eines der finstersten aller real gewordenen Alpträume wieder gut und, wenn es uns träfe, einmal besser machen wollten. |
|
||
|
|
Ich hasse moralisierende Ansprachen an thematisch nicht wirklich passenden Orten, aber da das logische Gegenteil von krank als — möglicherweise bald mit allen Mitteln — Querschnittsaufgabe und oberste Priorität aller Ressorts sozusagen — herbeizuführender Zustand im benannten Kontext und eben auch auf Freizeitschiffen nun wiederholt gefallen ist, musste das einmal gesagt werden. Nicht zuletzt einiger Säugetiere wegen, die mir sehr am Herzen liegen. |
|
||
Das Theater für sich reklamieren |
|
Man kann ja, sofern man es denn technisch und wirtschaftlich kann — was auf älteren Kleinkreuzern in relativ warmen Gewässern nicht so furchtbar vielem bedarf — private Leidenschaft und Glauben bzw. „von unbedingt glaubwürdigen Experten zweifelsfrei bewiesen, angemahnt und millionenfach wiederholt geteilt“ getrennt und damit die moralische Fallhöhe gering halten. Man kann — eigentümlich das betonen zu müssen — auch weiterhin aus Spaß segeln, einfach so. Zur Erholung und zur Erfahrung von Selbstwirksamkeit und Gemeinschaft (Hey-ho, Freunde der selbigen und der diesbezüglichen Sehnsucht!). Zur Übung allerlei nützlicher Dinge. Man kann auch ein bisschen poetische Sinnsuche darin betreiben und ganz eventuell, also bei Gelegenheit, unter anderem, ein klein wenig auch mit, irgendwie meist nur ungern zugegeben aber meiner Erfahrung nach vorkommend, romantische Partnersuche. Oder Partnerschaftspflege. Freude. Feier. Traumbild, Suche. Und man kann, anstelle anderer Leute große Erzählungen und kleine Extrawünsche wiederzukäuen, auch eigene Stücke schreiben — zu schreiben versuchen dafür; auffinden im gemeinsamen Tun, entlang der intuitiv, den geographischen und technischen sowie sozialen und, recht komplex verwoben, ästhetisch bewerteten Gegebenheiten nach gesetzten Partitur einer Wanderfahrt nenn’ es ‚Törnplan‘, dann klingt es greifbarer improvisieren, hoffentlich noch lange.
Und
die PM-18
grüßt schon aus der Ferne, |
|
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG |
|
|
|
Die PM-18 war die Genehmigung für das Befahren der Gewässer außerhalb des Bereiches der Grenzzone der Deutschen Demokratischen Republik und das Lied, das mir beim Nachdenken über die Angemessenheit des letzten Halbsatzes davor aus irgendwelchen vollkommen sachfremden und durch nichts zu rechtfertigenden Gründen durch den Kopf geht, ist Spaniens Himmel oder Die Thälmann Kolonne, in den mitreißend gesungenen Versionen von Ernst Busch und Hannes Wader. Wer zwischen 1936 und 1972 geboren und männlich ist und in einer bestimmten, sehr am Allgemeinwohl orientierten Lebensphase Bürger jenes Staates war, dürfte es des Häufigeren nachgesungen haben, mit wenigen Ausnahmen. |
|
„Der Kitsch ist eine spanische Wand, hinter der sich der Tod verbirgt. Im Reich des totalitären Kitsches sind die Antworten von vornherein gegeben und schließen jede Frage aus. Daraus geht hervor, daß der eigentliche Gegner des totalitären Kitsches ein Mensch ist, der Fragen stellt. Die Frage gleicht einem Messer, das die gemalte Leinwand eines Bühnenbildes zerschneidet, damit man sehen kann, was sich dahinter verbirgt.“ Milan Kundera, Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, Teil 6: Der Große Marsch, 1984. |
|
|
|
Traditionelles — an alten Gebräuchen orientiertes — maritimes — auf das Meer bezogenes — mimetisches — nachahmendes — Theater — Schauspiel; etwas fremdes oder eigenes darstellendes Rollenspiel — mit — unter Beteiligung von — zunehmend — in ansteigender Weise — besorgten — mit Sorgen befassten; von Gedanken zu mühseligen Obliegenheiten oder drohender Bitternis belasteten — Säugetieren — Tieren, welche ihre Jungen aus Milchdrüsen säugend nähren; Lebewesen, die ihre Energie aus anderen Lebewesen gewinnen und im Rahmen ihrer Fortpflanzung zum Teil in Form von Milchsekret weitergeben oder aufnehmen (weitere Merkmale mal ausgeblendet — luftatmend, Chorda, Wirbelsäule, vier Gliedmaßen, vielzellig mit Zellkernen und so). Also zum Beispiel mit einem altmodischen und dennoch teilweise modernisierten, viel traditionelle Seemannschaft erfordernden Typus von Segelboot in der Ostsee eine Entdeckungsreise nachahmend, recht ungezwungen, aber einem klar erkennbaren Plan und Regeln folgend, sportlich, aber mit höchstens beiläufigem Wettkampf (gegen die gelegentlich imaginierte Uhr, sozusagen) in selbstgewählten Rollen fortlaufend miteinander, dem Boot und seiner Umwelt spielend, zur eigenen Freude und Ausbildung vor allem (weitgehend ohne formelles Ausbildungsziel) (aber nicht frei von Interaktion mit gelegentlichem Publikum außerhalb) mit einer ziemlich unterschiedlich, aber doch überwiegend nicht schlecht zueinander passend zusammengestellten Gruppe (man nimmt was man kriegen kann) von relativ jungen, noch nicht voll ausgewachsenen Säugetieren von der Art moderner Menschen beiderlei Geschlechts von Hamburg (eigentlich Wedel in Holstein) kommend nach Rügen segeln, rudern, treiben, treideln, sich schleppen lassen (Ooah nee !) und über Stralsund bis Sassnitz gelangen, noch vor Kollicker Ort dann aber doch umzudrehen, nur der Welle wegen und noch nicht sonderlich besorgt, wegen allerlei schwer zu beeinflussenden Dingen und dem Stand eines sozial-und-auf-die-Beziehungen-zwischen-Lebewesen-und-ihrer-Umwelt-bezogenen Moral-Kreditkontos im Zusammenhang mit einer, alle Lebensbereiche umfassenden, von vielen für notwendig, ja unausweichlich gehaltenen Transformation hin zu was-auch-immer-frag-nicht-so-viel-das-ist-nicht-normal-aber-alle-müssen-mit-sonst-sind-sie-doof, damals im Sommer 1994, der ein ziemlich heißer war aber auch mit Regen, durchaus nicht wenig, gemessen an den dann doch etwas undichteren Stabdecks von Vor- und Achterpiek (Segeln ist ja so toll ! Segeln macht ja so viel Spaß !) in den fraglichen Wochen, gerade dem Ende zu und erst einmal länger anhaltenden Ost- und dann häufigen Westwinden. |
|
||
|
|
Warum
Rügen? Weil da noch keiner war, seit Generationen (Wie denn
auch?) man Rund Seeland auch im nächsten Jahr machen können
würde; das Schwesterschiff da auch hin will und es eine gute Idee
ist, zusammenzufahren, auch mit den Bergedorfern;
man in die dänische Südsee immer noch kommt, Rund Fünen sowieso
alle machen und ins Watt noch keine Option ist im ersten Jahr, mit
neuer Mannschaft. Willkommen in der Kunst kleiner Großer
Erzählungen, hier
und oben
und auf den anderen Seiten des Buches verlinkt, öffentlich und
bei freiem Eintritt, im großartigen, über den Winter noch ein
bisschen weiter verflochtenen Kapitel 5: Von der Freiheit eines
Kutter-Russen! |
|
zum
anfang
des |
|
|
|
--- Diese Seite wurde am 17.4.2023 aktualisiert und gehört zu der herausgegebenen Version 1.4. |
|
⤒nach
oben |
|
|
|
· |
|
|